AKT – tracing, remembering, finding poses from Venus, Olympia and us

Wieviel „nackt“ ist nackt?

Ich schaute drei Künstlerinnen zu. Sie loteten aus, in welchen Posen der weibliche Akt sich darstellt und legten dabei das Handwerk des Aktmodells frei.

„Unter fünf Prozent der im New Yorker Metropolitan Museum ausstellenden Künstler sind Frauen. 83 Prozent der dort gezeigten Akte sind weiblich“, so lautete 1989 der Leitspruch der New Yorker Künstlerinnengruppe Guerilla Girls. Judith Hummel hat dies mit drei Protagonistinnen unterschiedlichen Alters auf der Bühne der Galerie der Künstler in München weitergeführt und nichts entdeckt, sondern verzeichnet. Hummel erstellte ein weitläufiges Adressbuch verschiedener bekannter und unbekannter Posen von Akten, von Venus und Olympia zu uns.

Vorbei an Collagen, an Bilder und Trypticha, auf denen Stars und Sternchen in einem infernalischen Farbenspektrum nebeneinander stehen und ein wenig an Krieg zwischen Pornozeitschrift und Grabenkampf erinnern. Man muss lange warten bis man Einlass erhält, der auf nur 25 Personen beschränkt ist und in deren Ermessen es liegt, wieviel Zeit sie in dem abgetrennten Raum der Performance verbringen. Eine kurze Schonzeit verlängert das Warten, denn es wird ein etwa dreiminütiger Puffer zwischen den gehenden und kommenden Gästen eingehalten. Ich warte in der Vorhalle, in der eine Baustelle mit vielen Bildschirmen und Projektionen Urlaubsvideos zeigt, die teilweise mit nicht auf den ersten Blick erkennbarem, fremden Videomaterial überlagert sind. Endlich werde ich durchgewunken, und ich betrete einen kleinen Raum, in dem stark rhythmisierte, runtergedimmte, elektronische Musik läuft und eben nur zwei Frauen nackt auf hüfthohen, hölzernen Elementen posieren.

Ich schaue im hellen Licht der Deckenlampen auch hier der minutenlangen Posen der Frauen zu. Ein Spiegel ist ihnen gegenüber angebracht. Als ich reinkomme hält die Jüngere den Fuß der Älteren, die fortzukommen trachtet. Natürlich stilisiert. Die Jüngere lässt ohne große Erzählung den Fuß los und setzt sich an das andere Ende der Bühne auf den Rand, mit angezogenem Bein, und blickt in den Spiegel. Die Ältere beginnt, die Elemente zu verschieben. Dann kommt die dritte Frau hinzu. Sie setzen sich alle gemeinsam, wie in Chor, in die halbe Hocke und vergraben ihre Finger in einen Spalt, der durch das Hin- und Herrücken der Elemente entstanden ist. Die Performance soll drei Stunden dauern.

Auf  diese Weise schreibt sich die Performance AKT ein in den Gender-Diskurs. Sie versucht keine Position darin zu finden, ist nicht auf der Suche nach Argumenten, sie meckert nicht, klammert nicht, klaut oder provoziert, sondern exemplifiziert anhand der Katalogisierung möglicher Bewegung eines Aktmodells. Es ist nicht eine solche Nacktheit, die etwas außerhalb ihrer will. Kein Femen, keine Milo Moiré, die 2014 auf der Art Cologne bei klirrender Kälte nackt mit Farbe gefüllte Eier aus ihrer Vagina presste. Es ist nicht Valie Export und ihr Busen-Tastkino. Es ist Archivierungs- und Textarbeit, die uns da präsentiert wird; es ist das Handwerk des Aktmodells – und wir durften zugucken.

Drei Frauen verschiedenen Alters gefrieren in unregelmäßigen Abständen auf einer beweglichen Bühne aus drei Stücken in verschiedene bekanntere und unbekanntere Posen. Schmachtendes Seufzen wechselt sich mit Unterwürfigkeitsgesten ab, gefolgt von nachdenklicherem Knien, etc. Wir zählen innerlich mit: Boticelli, Gerhard Richter, Patricia Watwood. Alles kein Geheimnis. Die drei Modelle betrachten sich im Spiegel und um in das Kabinett zu kommen, muss man um einen metallisch glänzenden Plastikchip anstehen.

@Judith Hummel
@Judith Hummel

Doch es bleibt auch bei offener Werkstatt die Frage zurück: Ist die Geschwätzigkeit der Nackheit bereit, inventarisiert und typisiert zu werden? Oder wird das Geschäft des Aktmodells, was man doch gemeinhin als Notbehelf versteht und nicht als Berufung, durch den realistic-turn-Fleischwolf ins Museale gedreht? Ein wenig und doch nicht. Die Musik von Klaus Janek legt einen langsamen Rhythmus vor, um jede Pose zu verfolgen, zu erinnen und zu finden. Der Raum muss auch gar nicht vibrieren, denn durch den Chip hat man sich nicht ins Erotik-Automaten-Versatz-Kino eingekauft (was in seltsamen Kontrast zum Rest der Ausstellung steht), sondern einen Pfand erhalten, der zum Auslös einer – im Durchblättern eines Posenkatalogs – Bewusstmachung einer Machtstruktur und ihrer Verteilungsstrategie dienen soll.

Doch eins will mir zuerst nicht in den Kopf: Warum darf dann nur eine begrenzte Zahl in den Zuschauerraum? Weil man in der Masse die Einzelidentität verliert und zu sehr sich selbst überlassen ist, Herr in eigenem Hause werden könnte? Dieses Selbst ist nämlich eigentlich und grundsätzlich durch Geschichte geschrieben. Es geht, meiner Meinung nach, nicht darum, den „nackten Körper anzunehmen“, wie es in der Ausstellungsankündigung heißt, sondern ihn dort abzuholen, wo er seiner Zeichenhaftigkeit bewusst wird. Insofern muss ich anfügen: Die Performance war das Einüben der Nacktheit, man durfte bei den Leibesübungen eines Berufes beiwohnen. Vielleicht war sie nicht „nackt“ genug.

Weitere Termine sind:

Freitag, 18. Juli 15-18 Uhr
Samstag, 19 Juli 15-18 Uhr
Dienstag, 29. Juli 15-18 Uhr
Mittwoch, 30. Juli 19-22 Uhr (Finissage)
Ort: Galerie der Künstler
Maximilianstraße 42, 80538 München

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„AKT“ mit Naïma Ferré, Ruth Geiersberger, Heidi Schnirch 
Konzept & künstlerische Leitung Judith Hummel
Sound Klaus Janek
Podestdesign Katrin Schmid
Licht Charlotte Marr
Produktion & Dramaturgie Anna Donderer 
Fotografie Cordula Meffert 
PR Rat&Tat Kulturbuero
Flyergestaltung Ingeborg Landsmann, Judith Hummel

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