4.48 Psychose – Kay Voges

Der Livestream als neue Chance für das Theater? Publikumsgewinn oder nur ein weiterer trostloser Versuch das Theater interessanter zu machen?

Die Heinrich-Böll-Stiftung lud zum Livestream von Dortmund nach Berlin mit anschließender Diskussion. Gestreamt wurde 4.48 Psychose von Sarah Kane in Regie des Dortmunder Intendanten Kay Voges. Dieser war selbst in Berlin anwesend. Da Kane in ihrem Testament verfügt hatte, dass ihre Texte nicht als Oper oder Film gezeigt werden dürfen, musste die Veranstaltung in geschlossenem Rahmen stattfinden. Auch der Chef des Rowohlt-Verlages, bei dem der Text liegt, war anwesend. Es ging los und nach ein paar technischen Übertragungsproblemen lief es. Im Vorfeld wurden wir über die technischen Begebenheiten informiert und wie teuer der ganze Spaß ist. In Dortmund war ein Live-Cutter am Werk und ein ganzes Team von Technikern. Es wurde zu einem technischen Hype stilisiert und aufgebauscht, sowohl im Vorfeld als auch in der Diskussion danach. Über die Aufführung wurden nur wenige Worte verloren, der Inhalt, die Ästhetik, das Zusammenspiel. Wie Tim Renner in seinem Statement sagte, sind wir ganz am Anfang und es ist eine Vision. Das erkennt man leicht daran, dass nur über den Stream an sich, über die Technik und die Möglichkeiten geredet wird, nicht aber über die Inszenierung. Die Frage nach der Inszenierung stellt sich hier insoweit, als das man sich fragen kann: Wie kann man über eine gestreamte Vorstellung berichten oder schreiben? Der Vortragsraum in der Heinrich-Böll Stiftung hatte natürlich nicht das Flair eines Theaterbesuches.

Was kann man jetzt über diese Inszenierung sagen. Im Zusammenhang mit der Veranstaltung bot sich die Inszenierung  an, da sie selber sehr digitalisiert war. Die drei Schauspieler spielten in einer Box, welche mit einer Art Leinwand umspannt war und auf der permanent Text und/oder die Gesichter der Schauspieler projiziert wurden. Nur ganz zum Schluss sah man die realen Körper, als die Leinwand abgerissen wurde. Der Zuschauer in Dortmund hatte also nur den Blick auf die Leinwand. Wir in Berlin hatten einen anderen Blick, da sich noch eine Kamera in der Box befand. Es waren drei Kameras und eine Handkamera, sowie die in der Box dabei. Der Cutter schnitt die Bilder während der Übertragung und wurde so zum Regisseur des Streams. Die Ebenen überlagern sich. Im Moment des Streams ist der Regisseur also nur noch teilweise Regisseur seines eigenen Stückes, da er die Kontrolle des was-gesehen-wird in die Hände des Technikteams gibt. Unser Blick wurde kontrolliert, die Zuschauer in Dortmund hatten einen Panorama-Blick im Gegensatz zu uns. Ich traue mich gar nicht das Stück zu kritisieren, da ich die ganze Zeit das Gefühl habe, ich habe nicht alles gesehen und kann keine objektive Meinung dazu abgeben. Die Schauspieler waren grandios. Trotz der Leinwand zwischen uns habe ich sie gespürt, doch der Live-Moment hat gefehlt und vor allem bei so einem Text und so einer großartigen schauspielerischen Leistung ist er unersetzlich.

Es ist eben kein Kino und es ist auch keine Kinoästhetik. Im Nachhinein wurde oft gesagt, dass man lieber in Dortmund gesessen hätte. Im Hintergrund der Box waren vier oder fünf Gestalten hinter ihren Laptops, die die Technik der Leinwand, in Dortmund, betreut haben. Sie waren die Doktoren und die Schauspieler die Patienten. Eingeschlossen in einer digitalen Welt und auf dem Weg ihren Verstand zu verlieren. Der Text als eine Aneinanderreihung von Monologen und Dialogen. Es gibt keine kontinuierlichen Handlungsverlauf, sondern nur das Immerselbe. Der Sound ist laut, die Schauspieler schreien, winseln und zerstören sich selbst. Das innere der Box ist zum Schluss ein Schlachtfeld und die Schauspieler auch. Wenn die Kamera frontal auf die Box gerichtet wird und man keinen Rahmungen mehr erkennt, dann ist es als säße man in einem Kino mit unbequemen Sesseln wo das Popcorn fehlt. Zum Schluss reißen die Schauspieler die Box ein und steigen hinaus. Wir bekommen durch die Kamera noch einen kleinen Einblick in den Backstagebereich.

Danach die Diskussion oder vielmehr das vortragen von Statements unterschiedlicher Menschen. Verschiedene Experten trugen ihre Ansichten vor. Zur Diskussion blieb dann keine Zeit mehr. Alle beteiligten waren fast durchweg positiv eingestellt, nur ein Publikumsbeitrag am Schluss kippte die Stimmung dann doch ein bisschen. Geraldine de Bastion, die Kuratorin eines großen Netzwerktreffens, machte auf die Vorteile des Livestreams aufmerksam. Zum einen können Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen die Streams sehen und Menschen aus Regionen die diese nicht verlassen können aus unterschiedlichen Gründen würde ein Zugang geschaffen werden. Diese Gründe sind alle richtig und nachvollziehbar aber ist unser Theater so international wie das London National Theatre? Daniel Hengst, der Videokünstler aus Dortmund, sagte etwas sehr Schönes: Wir müssen das Video und/oder den Livestream als etwas betrachten, was in der Inszenierung mitgedacht ist und seinen eigenen Platz hat und nicht als etwas was hinten dran gehängt wird. Der Livestream als neue künstlerische Herausforderung und als neues ästhetisches Medium kann durchaus funktionieren. Mehr Menschen das Theater zugänglich zu machen, sollte immer ein Bestreben sein: Warum also nicht mit Livestream? Dass das nicht ein allgemeingültiges Rezept werden kann ist logisch aber den Livestream als etwas Künstlerisches zu betrachten, als Teil der Inszenierung, ist ein guter Ansatz. Meine ganz persönliche Meinung ist, dass im Livestream ein gutes Potential liegt. Man könnte es wunderbar für Schulen einsetzen, die sich nicht leisten können ins Theater zu fahren, anstatt dem gemütlichen Filmeabend auf der Couch kann man einen Theaterabend machen, und für die Theaterwissenschaft beispielsweise und Tausende von Studenten würde es vieles vereinfachen. Dass ein Stream niemals das reale Theatererlebnis ersetzen kann, darin sind sich alle einig. Ich sehe es als eine Möglichkeit, das Theater weiter hinaus zu tragen und denke dass von einer Ko-Existenz beide Seiten profitieren würden.

Die Veranstaltung fand statt in Kooperation zwischen dem Schauspiel Dortmund, der Heinrich-Böll-Stiftung, dem Thalia Theater und nachtkritik.de

Der Artikel wurde am 12.12.2014 auf livekritik.de veröffentlicht. www.livekritik.de

Am 10. Dezember 2014 übertrug das Schauspiel Dortmund gemeinsam mit der Heinrich-Böll-Stiftung Berlin die Vorstellung von Sarah Kanes „4.48 Psychose“ in der Regie von Intendant Kay Voges per Live-Stream in die Stiftungsräume in Berlin, wo im Anschluss eine Diskussion zum Thema „Schauspiel im Stream – Fluch oder Segen?“ stattfand. Auch Livekritikerin Marie Golüke hat sich den Stream angesehen. (Anm. d. Redaktion)

Zweites Treffen der Münchner privaten Schauspielschulen 2014

Am Mittwochabend, den 20.12.2014, steige ich mit einer Freundin die moosbewachsene Steintreppe, die in die Eingeweide des „theater…UND SO FORT“ führt, hinunter. In dem schmalen Flur drängen sich viele junge Menschen, fröhlicher Lärm schlägt uns entgegen, Begrüßungsrufe schallen quer durch die Schlange. Man kennt sich untereinander.

 

Es ist das zweite Treffen der Münchner privaten Schauspielschulen.

Ein Wettbewerb, den Heiko Dietz, Betreiber des „theater…UND SO FORT“ sowie der privaten Schauspielschule TheaterRaum München, letztes Jahr ins Leben rief. Zu gewinnen gibt es den MAX, dotiert mit einem stattlichen Preisgeld von 1000 Euro.

Gefördert wird das Projekt von THETA e.V. (Verein zur Förderung der freien Theater- und Tanzkultur in München)

 

Die Regeln sind unkompliziert. Zu inszenieren ist eine Performance aus folgenden Vorgaben:

Thema: Rückwärts

Pflichtbühnenbild: 2 weiße Stellwände 1m x 2m, 1 Umzugskarton

Pflichtrequisite: 1 Zollstock (weitere Requisiten erlaubt)

Licht: Einheitslicht, keine Specials (z.B. besondere Farben, Spot etc.)

Ton: Bei Bedarf frei einsetzbar

Darsteller: Mindestens drei

Dauer: 20 Minuten

Genre: Frei

 

Die Teilnehmer dieses Jahr:

ISSA – Int. Schule für Schauspiel & Acting

Neue Münchner Schauspielschule

Schauspielschule München

Schauspielschule Zerboni

TheaterRaum München

 

Gespielt wird an vier Abenden, von Mittwoch bis Samstag. Die Reihenfolge der auftretenden Schulen wird jeden Abend neu ausgewürfelt und dem Publikum erst am Ende des Abends mitgeteilt.

Ein spannendes Ereignis mit Überraschungen, wie z.B. die verschiedenen Interpretationen des Thema „Rückwärts“.

 

Die Neue Münchner Schauspielschule beschreibt dieses Thema in zwei Monologen und einer Szene aus dem Stück „Die Zofen“ von Jean Genet. Verquere Liebe und Sehnsucht, sowie ein rückwärtiger Blick auf das eben Vorgetragene bestimmen die Performance.

Einen zusammengefassten Rückblick auf William Shakespeares „Hamlet“ spielen drei Schüler der ISSA mit viel Witz und choreografierten Bewegungen. So wird z. B. die soeben gespielte Zusammenfassung rückwärts mit den gleichen Worten und Bewegungen akkurat wiederholt.

Mit einem aufregenden Thriller schlägt TheaterRaum München das Publikum in den Bann. Zwei Freunde versuchen ihre vermisste Freundin aus einem dubiosen Forschungslabor zu befreien. Der Zuschauer wird von Rückblenden und lauter Musik verwirrt, bis sich zum Schluss alles in der ersten Szene auflöst.

Die Schauspielschule Zerboni begeistert mit einer Szene zwischen zwei ungleichen Pärchen. Es geht um Betrug, Sehnsucht, Liebe und den Rückblick auf die verschiedenen Ehen, nie Gewagtes und verpasste Erfahrungen. Unterstützt wird diese Performance durch die perfekt synchronisierten Dialoge zwischen den Paaren.

Eine ungewöhnliche Nutzung der Requisiten bietet Schauspiel München. Es geht um vier Schauspieler, die hinter den Kulissen einen Rückblick auf ihre Arbeit, vergangene Beziehungen und Erfahrungen, werfen. Im Fordergrund steht die Inszenierung eines fiktiven Stückes, wozu die Schauspieler in Umzugskartons gehüllt sind.

Insgesamt überzeugen alle Schulen mit großer Spiellaune und einem abwechslungsreichen Programm, welches beste Unterhaltung voller Kreativität bietet.

Ein gelungenes, sehenswertes Projekt, das auf jeden Fall nächstes Jahr wieder stattfinden sollte!

 

 

 Den MAX nahm am letzten Abend die Schauspielschule Zerboni mit nach Hause.

 Herzlichen Glückwunsch!

Internationales Sommerfestival auf Kampnagel!

Drei Wochen findet das Internationale Sommerfestival auf Kampnagel statt! Neben Performance, Konzerten und Konferenzen kann man hier den AVANT-Garden nur sehr empfehlen. Ein bunter Festivalgarten in buntem Licht getaucht. Mittendrin eine kleine Rote Flora (Kanalspielhaus) in der abends ein DJ auflegt und eine Bar  zu finden ist. Es gibt Burger und Würstchen und eine pinke Riesenschaukel.

Meinen Auftakt beim Sommerfestival hatte ich mit der Senegalesischen Band Jeri Jeri um Berliner Techno-Pionier Mark Ernestus.  Der Club war gefüllt und das Konzert wurde eine Mischung aus afrikanischen Rhythmen und Tänzen, Trommeln, Gesang und lateinamerikanischen Einflüssen. das Publikum, am Anfang noch sehr zurückhaltend wurde irgendwann von der Musik mitgezogen und tanzte zum Schluss mit der Band auf der Bühne. Wie ein Ritual steigerte sich dieser Abend und die Musik zog einen mit. Der Gesang tat sein eigenes um zum Trancehaften Rhythmus beizutragen und man konnte sich so wunderbar darin fallen lassen. Die Krönung bildete eine Tänzerin, die das Publikum aufheizte und deren Bewegungen eine Mischung aus verschiedenen Tanzstilen waren. Danach brauchte man erst mal ein paar Minuten um wieder zu merken, dass man in Hamburg ist.

An einem Sonntagmorgen ging ich zur Abschlussdiskussion der Konferenz FANTASIES THAT MATTER.IMAGES OF SEXWORK IN MEDIA AND ART. Eine Konferenz mit der Künstlerin und ehemaligen US-Pornodarstellerin Anni Sprinkle. Da ich die beiden vorherigen Tage nicht in Hamburg war, konnte ich mir nur den Abschluss der Konferenz anschauen. Gleich zu Beginn beschwerten sich die Sex-Workers aus den USA, dass zur Konferenz keine ansässigen Sex-Worker aus Hamburg dabei waren. Der Hauptgrund war auch, dass die Konferenz auf Englisch gehalten wurde und die wenigstens der Sex-Worker in Hamburg Englisch sprechen. Die Diskussion drehte sich um Sex-Worker und Kunst. Warum Prostituierte häufig zu Künstlern werden? Weil sie sich hier ausdrücken können, hier werden sie gehört und man interessiert sich für ihre Anliegen. Würden sie einfach zu einem Politiker gehen wollen, wäre Ihnen der Weg versperrt. Eine Interessante Diskussion mit vielen Zwischenkommentaren von Sex-Workern. Das Einzige Merkwürdige: Es durften nur Sex-Worker etwas sagen, wir anderen wurden als bloße Zuschauer aus der Diskussion ausgeklammert. Da stellt sich die Fragen WARUM? Wäre eine Diskussion in der alle etwas sagen dürften nicht viel interessanter? So waren es ergreifende Thesen, Argumente und spannende Fakten der Sex-Worker, aber eine Diskussion war das leider nicht.

Mein persönliches Highlight war Situation Rooms von Rimini Protokoll. Schon oft hatte ich über sie gelesen, Videos geschaut und über ihre Arbeiten recherchiert, aber noch nie hatte ich sie live erlebt. Der Ausgangspunkt für dieses Multi-Player-Video-Stück war ein Foto, welches 2011 um die Welt ging. Es zeigt 13 Personen die im Weißen Haus dabei zuschauen, wie auf dem Bildschirm vor Ihnen die Jagd nach Osama Bin Laden beendet und er exekutiert wird. Dieses Foto regte die Gruppe dazu an, sich mit dem Thema Waffenhandel und dessen Auswirkungen zu beschäftigen. Rimini Protokoll arbeiten dokumentarisch und tauchen in dieser Performance nicht persönlich auf. Sie versammeln „Experten des Alltags“ und versuchen somit dem System auf die Schliche zu kommen. Im Konkreten heißt das, dass in der Vorhalle bei Kampnagel ein riesen Raum gebaut wurde. Mehrere Zimmer und Situationen befinden sich darin. Der Zuschauer wird zum Akteur und bekommt einen I-pad mit Kopfhörer in die Hand gedrückt, stellt sich vor eine Tür und sobald die Hand auf dem Bildschirm die Tür aufmachst, machst du sie auch auf. Dann der Name eines Kartellanführers auf dem Bildschirm. Er ist der Boss eines Drogenimperiums und erzählt seine Geschichte, wie er durch Waffengewalt alle seine Leute verlor. Teilweise griff er selbst  zur Waffe, teilweise waren es andere. Man ist in dem exakt gleichen Raum wie er auf dem Bildschirm gezeigt wird. Ich befinde mich in einem kleinen Raum aus Stein an deren Wände die Totendaten der Personen angeschlagen sind. Dann geht es weiter. In den nächsten Raum. Im Laufe der 90 Minuten, lerne ich den Chef der Deutschen Bank kennen, die mit unserem Geld den Waffenhandel unterstützen. Lerne Aktivisten kennen, die alles daran setzten das Deutschland nicht mehr der drittgrößte Waffenlieferant in die Welt ist. Verfolge das Schicksal eines Syriers, der nach einem Angriff behindert ist und nun in Libyen leben muss und sich das Schicksal seiner Freunde auf Facebook ansieht, und reise mit einem Deutschen Arzt im Auftrag von Ärzte ohne Grenzen nach Afrika. In einem stickigen weißen Sanitätszelt bin ich erst Arzt, dann Patient. Im Schrank findet man Bilder von Menschen deren Oberlippe von Bomben abgerissen wurde. Er hat sie wieder angenäht. Als Patient habe ich eine Schusswunde im Bein und bekomme eine gelben Punkt auf die Hand geklebt. Die Schusswunde ist nicht akut und ich muss warten. Auf der anderen Seite sitze ich in Konferenzsälen und beschließe die nächste Waffenlieferung und betreibe Waffenhandel. Auf der Saudi-arabischen Messe für Waffenhandel finde ich heraus, dass Deutschland seine Finger überall drin hat. Unsere Kameras sind an Drohnen montiert, Waffen sind aus Deutscher Herstellung. Es gibt sogar einen Waffenkatalog. Man kann hier Problemlos alles bestellen. Fast als letztes sitze ich in Indien in einem Raum und bediene den Schaltknüppel für eine Drohne. Es werden Terroristen in den Bergen gesucht. Und die Stimme in meinem Ohr „Es ist so einfach. Man drückt einfach auf den Knopf und das Haus wird bombardiert. Und danach geht man Kaffee trinken.“ Es ist erschütternd, dass wir Menschen gleichzeitig und zerstören und uns helfen. Der ewige Kampf ums Überleben hat ihm 21. Jahrhundert völlig neue Formen angenommen. Und die Erkenntnis nach dieser Rundgang: Man ist beteiligt. Ob man will oder nicht. Allein damit, dass wir unser Geld bei Banken anlegen, die unser Geld benutzen um es in der Rüstungsindustrie anzulegen. Und wir müssen unser Geld auf ein Konto packen, sonst bekommen wir keine Arbeit, keine Wohnung etc. Nach Amerika und Russland sind wir der 3.! größter Waffenlieferant. Heißt das unsere gesamte Wirtschaft würde zusammenbrechen, wenn wir keine Waffen mehr ins Ausland exportieren und herstellen? Fakt: Es gibt nur wenige kleine Banken, die unser Geld nicht in die Rüstungsindustrie oder die Forschung und Entwicklung für Waffen stecken. Wie kann es sein, dass ein Land so etwas tut und im gleichen Atemzug Massen an Flüchtlingen aufnimmt. Ist alles einzig ein System der Macht und des Geldes? Und die Humanität ist nur geheuchelt?

Wer immer die Möglichkeit hat, bei diesem Rundgang mit dabei zu sein sollte es tun! Ein wichtiger Beitrag und eine neue Offenlegung von Prozessen, was uns bzw. mir vorher nicht bewusst war. Von Mitte Dezember bis Anfang Januar gastiert die Arbeit in Berlin.

Als die Newcomer in der Tanzszene gehandelt waren die ehemaligen Studenten der Amsterdamer School for New Dance Development mit ihrem neuen Stück Wellness zu Gast.  Florentina Holzinger & Vincent Riebeek plus Ensemble zeigten den Abschluss einer Trilogie, die sich um Themen wie Popkultur, Schöhnheitswahn etc. drehten. Zu Beginn eine Gruppenchoreographie waren alle in schrillen, glänzenden Kostümen wie aus Sportvideos der 80er, in der Hand hielten sie Modezeitungen, grell geschminkte Gesichter erinnerten auch der Tanz an eine Aerobic Stunde oder Yoga/Pilates. In der Mitte eine Frau mit Megabrüsten, die auf einem Teppich voller Scherben liegt. Sie wird später in dem bösen Spiel die, die alle antreibt, die wertet, die urteilt, die herausfordert und die, die immer die anderen schwitzen lässt. Man stellt sie auf und sie muss über die Scherben gehen. Dabei schaut sie souverän, lässt sich die Schmerzen nicht anmerken. Ein Sinnbild für den Schmerz, den wir uns freiwillig antun um Schön zu sein, Anerkennung zu bekommen, ein Guru zu werden. Sie ist der Guru in dieser Performance. Soweit zum ersten Bild. Der Körperkult geht weiter. Das zweite Bild zeigt eine orgiastische Sexszene. Lauter Electrosound, Discolicht von hinten und Nebel, sodass nur noch die Umrisse der Körper zu sehen sind. Es ist wunderbar orgiastisch, verschwenderisch und zerstörend. Man kann hier eine Kritik am Körperkult unserer Zeit sehen, die diese ganze Arbeit auf jeden Fall ist, aber man kann diese bestimmte Sequenz auch als Aufforderung verstehen, sich dem Leben mehr hinzugeben. Im dritten Bild geht es dann zur Arbeit an der Seele und der Überwindung von Scham. Erst wälzen sie sich in Sand und dann soll jeder vorsingen. Es wird ermutigt und gleichzeitig gedemütigt. Der unerbittliche Guru hat sich in die erste Reihe gesetzt. Ein Zuschauer musste weichen. Der Kreis schließt sich mit der Anfangschoreographie. Tosender Applaus. Was für eine Tanzperformance. Sie haut einen voll weg. Und die Frage am Schluss: Tun wir uns das alles wirklich freiwillig an? Und warum? Warum biegen wir unseren Körper und unseren Geist so sehr, gestalten ihn um und formen ihn? Nichts gegen Sport und psychische Beratung, wenn man sie nötig hat, aber wir stutzen uns zu Recht und vergessen dabei wer wir sind. Aber wer sind wir eigentlich? Diese Inszenierung zeigt auf jeden Fall die unerbittliche Suche nach unserem wahren Ich, so wie wir es gerne hätten.

Als Abschluss des Sommerfestivals ging ich zu KID KOALA und seinem Stück: Nufonia Must Fall, obwohl Stück hier das falsche Wort ist. Kid Koala ist ein Tunrntablist und Nufonia Must Fall ist eine Graphic Novel, die er veröffentlicht hat. Beides mixt er zusammen und heraus kommt eine an dem Abend abgefilmte, inszenierte Graphic Novel mit Live-Musik. Die Hauptprotagonisten waren kleinen Figuren, ähnlich wie in einem Puppentheater. Eigentlich ist es eine neue und Moderne Form des alten, guten Puppentheaters. Sozusagen eine Weiterentwicklung der Augsburger Puppenkiste, nur das hier die Puppenspieler nicht von oben die Marionetten zum Leben erwecken, sondern von unten. Es waren vier kleine Filmsets aufgebaut und die Spieler saßen unten den Filmsets, die Figuren an mehreren Stäben und los ging die Geschichte. Eine Kamera übertrug die Aufnahmen auf eine große Leinwand die von der Decke hing. Es war faszinierend. Man sah gleichzeitig wie der Film gemacht wurde und konnte das Ergebnis im selben Moment auf der Leinwand sehen. Mit viel Liebe zum Detail waren die kleinen Filmsets ausgestattet und die Spieler agierten fast Wortlos, sodass den Protagonisten des Abends alle Aufmerksamkeit geschenkt werden konnte. Die Story ist schnell erzählt. In einer Welt in der Roboter und Menschen Seite an Seite leben, wird ein kleiner Roboter gefeuert und durch einen besseren mit acht Armen ersetzt. Kurz zuvor hat er eine wunderschöne Frau im Fahrstuhl kennen gelernt und sich in sie verliebt. Als er gefeuert wurde fängt er in einem Burger-Laden an, aber auch da wird er durch den 8-Armigen Roboter ersetzt, da der nun mal schneller ist. Zwischendurch war die Frau da und er hat ihr mit Liebe ein kleines Sandwich zubereitet. Der 8-Armige Roboter ist zwar schnell, aber es steckt eben keine Liebe in den Dingen die er tut. Der kleine Roboter schreibt einen Love-Song für die Frau und als er vor dem Burger-Laden steht und es ihr durch die Scheibe vorsingt, wird er von einem Auto angefahren. Sie kümmert sich rührend um ihn und schon bald werden sie ein Liebespaar und wollen in die Ferien fliegen. Doch dann entdeckt der kleine Roboter, dass die Frau eine Wissenschaftlerin ist die den 8-Armigen Roboter gebaut hat, der ihm alle Jobs gekostet hat. Er flieht. Natürlich gibt es ein Happy End und sie versöhnen sich am Flughafen. Eine rührende kleine Geschichte. Die „Filmmusik“ wurde die ganze Zeit von einem Orchester live gespielt, welches mit auf der Bühne saß und Kid Koala machte die übrigen Geräusche. Für manche war die Geschichte zu kitschig, ich fand es eine gute Abwechslung zu dem “ ganzen krassen Zeug“ was sonst noch so auf dem Festival zu sehen war.

Abends ging es dann immer in den Festival-Garten und/oder ins Kanalspielhaus. Hier traten Bands auf und man konnte wunderbar den Tag ausklingen lassen. Im Garten gab es eine kleine Installation und die Volkstanz Heute-Gruppe zeigte ihre Arbeit, welche jedoch kaum Beachtung fand. Auch ich schaute nicht hin, da ich dieses Projekt von Kampnagel nicht sonderlich spannend finde. Traditioneller Volkstanz soll hier neue Beachtung finden. An sich gut, doch irgendwie hat es an diesem Abend keinen interessiert. Trotzdem konnte man sich in diesem Garten Stunden aufhalten. Alles in allem ein sehr schönes internationales Sommerfestival 2014!

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Performance-Festival „Isarsprudel“ in München. Dieses Wochende!

copyright: Julia Schiefer

Wehende Bahnen von weißem Stoff, die vom Fluß getränkt werden. Daneben tanzen Menschen Tango. Eine Frau idealisiert sich im virtuellen Raum, eine andere zieht mit rauchendem Kohlegrill als Pudelersatz und einem umgeschnallten Wurstpenis vorbei. Am kommenden Freitag fällt zum dritten Mal der Startschuss für das Performance-Festival „Isarsprudel“.

Zwischen Deutschen Museum und Corneliusbrücke hat Martin Jonas und sein Team 11 Künstler_Innen aus verschiedenen Städten versammelt, die den Raum in den Isarauen bespielen. Ob situative Begegnungen oder Anstoß zum Nachdenken, ob Irritation oder Demonstrationen, ob spielerische Transgression oder Verfremdung über Übersetzung: An diesem Wochenende experimentieren Künstler_Innen mit dem ihnen Zuhandenen und an den Grenzen sozialer Räume.

Die Renaturierung der Isarauen wurde 2011 abgeschlossen. Seitdem dient das Stück des Isarufers als Erholungs- und Freizeitort, als Treffpunkt und Vergnügungsort. Dieses Jahr will Jonas die Isarauen als Grenzort verstanden wissen. Jenseits der urbanen Erholungskultur trifft man hier auch auf ambitionierte Projekte, z. B. der selbst gepflanzten Blumenbeeten auf der Corneliusbrücke. Und man trifft hier auch auf einen Ort sozialen Ausagierens von Lebensproblematiken und auf soziale Brennpunkte.

Alle der von Jonas und seinem Team ausgewählten künstlerischen Interventionen befassen sich in irgendeiner Weise mit dem konkreten Raum, der Isar, und im weiteren Sinne mit dem Raum München. Und allen Positionen ist gemein, dass sie den Raum durch verschiedenste Evokationen und Aktionen deutlich machen wollen.

Man setzt sich Kopfhörer auf und schlägt sich durchs Dickicht. Man entdeckt Leerstellen, sowohl Freiräume zwischen den gut besuchten Wegen als auch solchen, die sich zwischen gedanklichen Routinen finden. Eine Demonstrationen für das Nichtstun verfängt sich absichtlich im Paradox. Assoziieren, Erweitern, Lachen, auf dem Floß aus Treibgut sitzen, Spielen und Experimentieren.

Auch wenn Kunst im öffentlichen Raum dazu tendiert hierarchische Strukturen einzuebnen, hat sie bei „Isarsprudel“ auch die Chance konventionalisierte Spartialräume aufzubrechen und zu öffnen. Es wird sich zeigen, inwieweit das Projekt am Isarufer, an dem auch das icamp-Theater beteiligt ist, gelingt. Jedenfalls hörte ich, als ich vom Pressetreffen wegging, seit langem mal wieder das Rauschen der Isar. Die schwächer und stärker werdenden Geräusche der Flußbrandung wurden durch das Smartphone an meinem Ohr weniger oder stärker kanalisiert. Das harmonierte wunderbar mit der Mittagssonne.

Das Programm kann man auf der Weblog von „Isarsprudel“ einsehen.

AKT – tracing, remembering, finding poses from Venus, Olympia and us

Wieviel „nackt“ ist nackt?

Ich schaute drei Künstlerinnen zu. Sie loteten aus, in welchen Posen der weibliche Akt sich darstellt und legten dabei das Handwerk des Aktmodells frei.

„Unter fünf Prozent der im New Yorker Metropolitan Museum ausstellenden Künstler sind Frauen. 83 Prozent der dort gezeigten Akte sind weiblich“, so lautete 1989 der Leitspruch der New Yorker Künstlerinnengruppe Guerilla Girls. Judith Hummel hat dies mit drei Protagonistinnen unterschiedlichen Alters auf der Bühne der Galerie der Künstler in München weitergeführt und nichts entdeckt, sondern verzeichnet. Hummel erstellte ein weitläufiges Adressbuch verschiedener bekannter und unbekannter Posen von Akten, von Venus und Olympia zu uns.

Vorbei an Collagen, an Bilder und Trypticha, auf denen Stars und Sternchen in einem infernalischen Farbenspektrum nebeneinander stehen und ein wenig an Krieg zwischen Pornozeitschrift und Grabenkampf erinnern. Man muss lange warten bis man Einlass erhält, der auf nur 25 Personen beschränkt ist und in deren Ermessen es liegt, wieviel Zeit sie in dem abgetrennten Raum der Performance verbringen. Eine kurze Schonzeit verlängert das Warten, denn es wird ein etwa dreiminütiger Puffer zwischen den gehenden und kommenden Gästen eingehalten. Ich warte in der Vorhalle, in der eine Baustelle mit vielen Bildschirmen und Projektionen Urlaubsvideos zeigt, die teilweise mit nicht auf den ersten Blick erkennbarem, fremden Videomaterial überlagert sind. Endlich werde ich durchgewunken, und ich betrete einen kleinen Raum, in dem stark rhythmisierte, runtergedimmte, elektronische Musik läuft und eben nur zwei Frauen nackt auf hüfthohen, hölzernen Elementen posieren.

Ich schaue im hellen Licht der Deckenlampen auch hier der minutenlangen Posen der Frauen zu. Ein Spiegel ist ihnen gegenüber angebracht. Als ich reinkomme hält die Jüngere den Fuß der Älteren, die fortzukommen trachtet. Natürlich stilisiert. Die Jüngere lässt ohne große Erzählung den Fuß los und setzt sich an das andere Ende der Bühne auf den Rand, mit angezogenem Bein, und blickt in den Spiegel. Die Ältere beginnt, die Elemente zu verschieben. Dann kommt die dritte Frau hinzu. Sie setzen sich alle gemeinsam, wie in Chor, in die halbe Hocke und vergraben ihre Finger in einen Spalt, der durch das Hin- und Herrücken der Elemente entstanden ist. Die Performance soll drei Stunden dauern.

Auf  diese Weise schreibt sich die Performance AKT ein in den Gender-Diskurs. Sie versucht keine Position darin zu finden, ist nicht auf der Suche nach Argumenten, sie meckert nicht, klammert nicht, klaut oder provoziert, sondern exemplifiziert anhand der Katalogisierung möglicher Bewegung eines Aktmodells. Es ist nicht eine solche Nacktheit, die etwas außerhalb ihrer will. Kein Femen, keine Milo Moiré, die 2014 auf der Art Cologne bei klirrender Kälte nackt mit Farbe gefüllte Eier aus ihrer Vagina presste. Es ist nicht Valie Export und ihr Busen-Tastkino. Es ist Archivierungs- und Textarbeit, die uns da präsentiert wird; es ist das Handwerk des Aktmodells – und wir durften zugucken.

Drei Frauen verschiedenen Alters gefrieren in unregelmäßigen Abständen auf einer beweglichen Bühne aus drei Stücken in verschiedene bekanntere und unbekanntere Posen. Schmachtendes Seufzen wechselt sich mit Unterwürfigkeitsgesten ab, gefolgt von nachdenklicherem Knien, etc. Wir zählen innerlich mit: Boticelli, Gerhard Richter, Patricia Watwood. Alles kein Geheimnis. Die drei Modelle betrachten sich im Spiegel und um in das Kabinett zu kommen, muss man um einen metallisch glänzenden Plastikchip anstehen.

@Judith Hummel
@Judith Hummel

Doch es bleibt auch bei offener Werkstatt die Frage zurück: Ist die Geschwätzigkeit der Nackheit bereit, inventarisiert und typisiert zu werden? Oder wird das Geschäft des Aktmodells, was man doch gemeinhin als Notbehelf versteht und nicht als Berufung, durch den realistic-turn-Fleischwolf ins Museale gedreht? Ein wenig und doch nicht. Die Musik von Klaus Janek legt einen langsamen Rhythmus vor, um jede Pose zu verfolgen, zu erinnen und zu finden. Der Raum muss auch gar nicht vibrieren, denn durch den Chip hat man sich nicht ins Erotik-Automaten-Versatz-Kino eingekauft (was in seltsamen Kontrast zum Rest der Ausstellung steht), sondern einen Pfand erhalten, der zum Auslös einer – im Durchblättern eines Posenkatalogs – Bewusstmachung einer Machtstruktur und ihrer Verteilungsstrategie dienen soll.

Doch eins will mir zuerst nicht in den Kopf: Warum darf dann nur eine begrenzte Zahl in den Zuschauerraum? Weil man in der Masse die Einzelidentität verliert und zu sehr sich selbst überlassen ist, Herr in eigenem Hause werden könnte? Dieses Selbst ist nämlich eigentlich und grundsätzlich durch Geschichte geschrieben. Es geht, meiner Meinung nach, nicht darum, den „nackten Körper anzunehmen“, wie es in der Ausstellungsankündigung heißt, sondern ihn dort abzuholen, wo er seiner Zeichenhaftigkeit bewusst wird. Insofern muss ich anfügen: Die Performance war das Einüben der Nacktheit, man durfte bei den Leibesübungen eines Berufes beiwohnen. Vielleicht war sie nicht „nackt“ genug.

Weitere Termine sind:

Freitag, 18. Juli 15-18 Uhr
Samstag, 19 Juli 15-18 Uhr
Dienstag, 29. Juli 15-18 Uhr
Mittwoch, 30. Juli 19-22 Uhr (Finissage)
Ort: Galerie der Künstler
Maximilianstraße 42, 80538 München

facebook / homepage der BBK

„AKT“ mit Naïma Ferré, Ruth Geiersberger, Heidi Schnirch 
Konzept & künstlerische Leitung Judith Hummel
Sound Klaus Janek
Podestdesign Katrin Schmid
Licht Charlotte Marr
Produktion & Dramaturgie Anna Donderer 
Fotografie Cordula Meffert 
PR Rat&Tat Kulturbuero
Flyergestaltung Ingeborg Landsmann, Judith Hummel

Improcup-Finale 2014

Die Unrasierten Gentlemen vs. Bühnenpolka

Ganz viel Liebe und Harmonie gab es am Samstag beim Finale des Fastfood Improcup 2014 zu sehen und zu spüren. Obwohl der im Scheinwerferlicht glänzende Pokal letztlich nur von einer Gruppe mit nach Hause genommen werden kann, forderte das Publikum immer wieder gleich viele Punkte für beide Teams und sicherlich gingen viele mit einem lachenden und einem weinenden Auge nach Hause. Lachend in Gedanken an die vielen großartigen Momente des Abends und aus Freude über den Sieg der „Unrasierten Gentlemen“ von Impro Berlin, weinend darüber, dass „Bühnenpolka“ aus München trotz vieler wunderbarer Szenen als Verlierer aus dem Match hervorgingen.

Auch auf der Bühne war love in the air, es wurde viel geknutscht, vor allem auf Seiten der Gentlemen, und als Tobias Zettelmeiers (Bühnenpolka) Mikrophon den Geist aufgab, sprang Kjel Fiedler (Unrasierte Gentlemen) ihm kurzerhand bei und schob ihm seines unters Hemd, während Musiker Michael Gumpinger romantische Melodien auf dem Klavier dazu spielte. Natürlich gab es nicht nur Liebesszenen, wie einen Heiratsantrag nach Sprung vom Eiffelturm oder den improvisierten Zirkusfilm „Unterm Trapez“, in dem die Akrobatin sich endlich dem geliebten Zirkusdirektor in die Arme werfen kann. Da war zum Beispiel auch die Katze Minka, die bei Großmutters 80. Geburtstag unglücklicherweise zwischen Großmutter und Tischkante eingeklemmt und dann auch noch von einem Messer am Kopf getroffen wird, woraufhin die Großmutter einen Schock erleidet und Minka ins Grab folgt. Oder die verkorkste Familie, in der Vater und Mutter nicht nur den Bruder des Mannes sondern auch noch den eigenen Sohn lebendig im Kies begraben.

Auch wenn der Improcup 2014 nun zu Ende gegangen ist, kann man sich schon aufs nächste Jahr freuen. Im Januar 2015 geht es wieder los, auf die Teams darf man noch gespannt sein!

Spielwiese – Les Danseurs ont apprecié la Qualité du Parquet: Maison des Arts de Créteil // Les Chiens de Navarre

Ich habe gestern einmal mehr begriffen, warum Theater begeistern, faszinieren, fesseln, mitreißen, umdrehen, durchschleudern und wegspülen kann. Und das alles mit Humor. Es hat zwar Vorteile, aber eben nicht nur, wenn man sich hauptsächlich nach Vorschlägen von Dozenten richtet in seiner Abendgestaltung. An dieser Stelle ein großes Lob an das Festival „Exit“, das mir von meinem Freund und Bühnentechniker Luca empfohlen wurde.

Foto von celinef.com
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In dessen Rahmen habe ich gestern eine Pina-Bausch-würdige Farce auf sowie Liebeserklärung an den Tanz gesehen, „Les Danseurs ont appprecié la Qualité du Parquet“, von dem Künstlerkollektiv Chiens de Navarre. Dieses „Parkett“, dieser Tanzboden empfing die vorderen Reihen, die über die Bühne den Saal betraten, als allererstes: bei rotgoldenen Sonnenuntergangslichtstimmung tanzten die Darsteller ausgelassen zu schwungvoller Salsamusik auf dem mulchartigen Erdboden, der sich über die gesamte Größe der Bühne erstreckte, mit den Zuschauern um die Wette. Das heißt mit denen, die wollten. Was wundervoll und unfreiwillig komische Situationen ergab. Schon bereute ich, nicht noch früher gekommen zu sein, diesem Spektakel hätte ich stundenlang zuschauen mögen, fürs mitmachen war ich schon zu spät dran (und leider sehr weit hinten platziert). Und damit ging der Rausch und Strudel an Eindrücken erst los. Ein Klavierschwein, das vorgibt, virtuos das Playback aus dem kaputten Klavier herauszuzaubern. Dazu eine Tänzerin, die sich durch ihre rhythmisch gesetzten Bewegungen über die Musik mokiert, ein Spagat aufwärts an einer Leiter beendet die komödiantische Einlage. Ein Stepptanz. Zwei nackte Männer überqueren den hinteren Teil der Bühne zu quälend krawalliger Musik, die auf deutsch fragt „Sind die Vulkane noch tätig?“. Eine Parodie auf Schwanensee, eine Bollywood (oder doch zumindest orientalische) Tanzeinlage. Wumm. Was für ein Durcheinander! Alle tragen sie Masken und/oder Perücken, bewegen sich zwischen einer Tim-Burton-artig grotesken Zappelästhetik und klassisch-codierten Tanzformen und das zumeist zu klassischer Musik. Dabei eine sehr an den Kabarett-Aufbau erinnernde Nummernshow, eine Art Revue. Keinerlei Anspruch auf Logik oder einen roten Faden. Den schreiende Höhepunkt, wo drei Autos, ein Motorrad, der Wiener Walzer sowie der Radetzkymarsch und Bierdosenschießen eine entscheidende Rolle spielen (und in grotesker Weise an das alljährliche Ballett des Neujahrskonzertes der Wiener Philharmoniker erinnern), will ich gar nicht näher erläutern. Zu komisch, schräg, verballhornt. Extase in jeder Hinsicht, als zum abschließenden Bolero Bauschs Frühlingsopfer (Armbewegungen der Frauen und Einbezug des erdigen Bodenbelages) zitiert wird. Wo war ich? Der rote Faden, richtig. Ich glaube, ich habe ihn die ganze Zeit gesehen aber nicht als solchen wahrgenommen. Es ist die unbändige, logisch nicht erklärbare und wogende Lust an der Bewegung. Ich habe schon lange keine Darsteller mehr gesehen, die solchen Spaß auf der Bühne hatten. Hier hat sich keiner ernst genommen, es regnet Glitzer, eine Massenorgie mit Rasensprenkler, die Stepptänzerin verfehlt die designierte Fläche und wird unhörbar, der Prinz wirkt wie ein tollpatschiger Geier mit seinen ulkigen (Helge Schneiders Meisenmann würdigen) Grand jetés. Und bei all dem ein solcher, ja, dyonischer Rausch, eine Woge des Tanzes, die ihresgleichen sucht. Noch heute, 05. April, im Maison des Arts de Créteil zu bestaunen, neben der interessantesten und verrücktesten interaktiven Ausstellung, die ich vermutlich je gesehen habe. Weil Frühling ist. Weil es Spaß macht und den Weg wert ist. Diese Spielwiese ist nur für uns, für langgezogene Kinder, die nicht verlernt haben, wie es sich anfühlt, zu spielen um des Spielens willen.

Tanzplattform 2014

Kampnagel

KLICK

Tanzplattform 2014 in Hamburg! Schon vor zwei Jahren in Dresden, konnte ich die Tanzplattform miterleben. Anders als in Dresden war hier alles auf einem Gelände, sodass man nicht hin und herfahren muss. Ein ehemaliges Industriegelände mit insgesamt sechs großen Hallen dienten als Veranstaltungsort für die Tanzplattform.

The Forsythe Company: Sider

Mein erstes Stück, gleich einer der großen Namen auf der Tanzplattform. William Forsythe mit seiner Company und dem Stück Sider. Der Kontext soll eine Tragödie aus dem 16. Jahrhundert sein, die in Bewegung übersetzt und mit Sprachmustern aus der Tragödie vermischt wird. Leider habe ich davon nicht sehr viel mitbekommen. Da ich ganz oben saß, konnte man die Worte auf der Tafel nur erahnen bzw. nur die Hälfte sehen. Ich kann mich noch an „is and isn`t“ erinnern, so waren alle Wortpaare aufgebaut. Ein Spiel mit dem Gegensatz. Die Tänzer waren teilweise von Kopf bis Fuß in bunten Klamotten eingehüllt, einige hatten elisabethanische Kragen um. Zwei Tänzer rezitierten die Tragödie in einem Englisch aus dem 16. Jahrhundert, sodass man leider nichts verstand. Forsythe verwendete große Pappen, mit denen immer wieder neue Gebilde gebaut und Geräusche erzeugt wurden.  Ein spannender Ansatz, der für mich leider nicht ganz aufging.

Richard Sigal: Black Swan

Eine riesen Leinwand im Halbkreis aufgebaut nimmt die ganze Bühne ein. Es ist dunkel und Richard Sigal kommt mit schwarz geschminktem Gesicht auf die Bühne. Hauptprotagonist sind Gedichte, die auf die Leinwand projiziert werden und im Lesen entstehen. Eine Stimme, verzerrt spricht die Wörter manchmal im Voraus, manchmal im Nachhinein. Eine Wortkomposition im Augenblick entsteht hier, während Sigal ganz klein und fast nicht sichtbar, wegen der Dunkelheit dazu tanzt und die Gedichte teilweise mitspricht. Teilweise werden die Gedichte ins Deutsche übersetzt, teilweise nicht. Die Stimmung ist jedoch von Anfang an klar. Düster aber nicht depressiv. Es hat etwas Suchendes und man wird mitgerissen mit der Flut an Worten, die über einen kommt. Eine wunderbare intermediale Inszenierung in der Sigal die Kraft des Wortes betont und sich selber damit in den Schatten stellt.

Isabelle Schad und Laurent Goldring: Der Bau

Kafkas unvollendete Erzählung dient hier als Inspiration für das Stück von Isabelle Schad und Laurent Goldring. Nackt kommt sie auf die Bühne, sie bewegt ihren Rücken und man sieht die einzelnen Muskeln und Knochen. Die Tiermetapher von Kafka wird hier in einer langsamen Verwandlung der Tanzenden zum Stoffknäul präsentiert. Innerhalb von 50 Minuten ist der menschliche Körper verschwunden und ein Knäul aus Stoffbahnen rollt über die Bühne, welches sich in der Bewegung immer wieder neu formt. Der Sound des Körpers und der Bewegung wird im Moment aufgefangen und wiedergegeben, jedoch fragt man sich wie das technisch gelöst wurde, da Schad keine Mikrophone am Körper tragen konnte. Ein bisschen lange dauerte das  finden der fünf oder sechs Stoffbahnen. Irgendwann kannte man eben den Ablauf und die Bewegungen. Erst im zweiten Teil, wurde das Stück wieder spannender. Der Stoffknäul formte immer wieder neue Tiere in seiner Bewegung. Für mich zumindest.

Swoosh Lieu: The Factory. Eine Besetzungsprobe

Absolventinnen der Angewandten Theaterwissenschaft Gießen zeigten hier eine Installation/Besetzungsprobe zu den Produktionsbedingungen von Künstlern. Wir waren in einer fortwährenden Probe und die Akteure fast nicht sichtbar. Eine Choreographie aus Maschinen, Bannern und Schriften stützte auf uns ein. Eine interessante Mischung. Wer bekommt die Produktionsmittel? Von wem werden sie Verteilt? Eine Auflistung aller Dinge, die für diese Produktion gebraucht werden. Und dann? Dann ist die Show zu Ende. Es werden Probleme aufgedeckt, die aber nicht weiter erforscht werden. Es werden Sachen an die Banner geschrieben, die jeder weiß aber nicht weitergedacht wurden. Schade, mich hätten die Lösungsansätze interessiert.  Eine Installation die zur Diskussion anregt: Hat leider nicht geklappt.

Zufit Simon: I like to move it

Zuifit Simon war eine der NEUEN auf der Tanzplattform. Eine Tänzerin betritt die Bühne und macht verschiedene Bewegungen ohne Musik. Es sind Bewegungen, wie man sie in den Clubs sieht oder bei den Background-Tänzerinnen der Superstars oder Rockkonzerten. Schwarze Lederhose, viel Schmuck und hohe Schuhe. Eine Lichtshow wie bei einem Konzert. Nur die Musik fehlt. Nach einer Weile holt sie sich einen Lausprecher und tanzt mit ihm. Sie legt sich auf ihn und je nach Bewegung kommen Geräusche aus den Lautsprechern. Sie komponiert sozusagen mit ihren Bewegungen. Eine Bewegungskomposition. Zwei weitere Tänzerinnen kommen dazu und die Komposition setzt sich fort. Das ist im Weitesten alles, was passiert. Es werden unterschiedliche Variationen ausgetestet: Boxen an den Füßen, herumwirbeln von Mikrofonen, verschiedenen Tanzschritte. Alles in einer einstudierten Choreographie, wie bei Backgroundtänzerinnen die bei THE DOME auftreten. Ohne Musik wirkt die Choreographie lächerliche und absurd. Für mich wurde hier der Tanz in der Musikbranche zitiert, vorgeführt und kritisiert, welches sehr spannend zu beobachten war. Mehr habe ich aber nicht mitnehmen können. Zwar wurden immer wieder neue Variationen ausgetestet, aber im Grunde war es immer dasselbe. Es gab keine Entwicklung, keine Spannung. Nach dem ersten WOW-Effekt wurde es langweilig.

VA Wölfl: Chor(e)ographie/Journalismus (Kurze Stücke)

Zu Beginn stellt sich Amelie Deuflhard auf die Bühne und erklärt, dass VA Wölfl nicht die gesamte Choreographie zeigen kann, da Kampnagel ihm nicht die gewünschten drei sondern nur zwei Tage zur Vorbereitung geben konnte. VA Wölfl komponiert das Stück mit seinen Tänzern in dem Moment bzw. er reagiert im Stück auf das Stück und die Zuschauer. Es ist keine feststehende Choreographie. Tänzer kommen mit Glitzerkostümen auf die Bühne und tragen ein Gewehr. Danach bleibt eine in der Mitte stehen und bewegt sich so langsam, dass man es mit dem bloßen Auge fast nicht sieht. Dazu eine Projektion und die Laute von Fußballfans in einem Stadion. Man kann sich ganz reinfallen lassen in dieses Bild. Dann ist es abrupt vorbei. das Licht geht wieder an. Keiner weiß was. Zuschauer sind verwirrt. Die ersten Leute gehen. Nach ein paar Minuten geht es weiter. Ein Sänger fängt im Publikum an zu singen. Gitarrenklänge auf der Bühne. Wieder ist alles vorbei. Zuschauer sind noch verwirrter. Manche beschweren sich, dafür ihr Geld ausgegeben zu haben, bleiben aber sitzen, andere Gehen. Einer schmeißt beim Gehen wütend Tennisbälle auf die Bühne, die vorher dort ausgeschüttet wurden. Wieder ein anderer schreit, es solle doch mal weitergehen. Großartig wie VA Wölfl mit dem Publikum spielt und es verarscht, auch wenn hier viel schief gegangen ist und der Auftritt eigentlich abgesagt werden sollte. Die Masse Zuschauer bewegt sich und ist nicht mehr nur stummer Konsument.

Antonia Beahr: Abecendarium Bestiarium

Mein absoluter Favorit dieser Tanzplattform! Am Sonntag konnte ich noch in die Vorstellung reinrutschen auch ohne Karte. Ich liebe sie. Beahr bat 13 Künstlerfreunde, dass sie Kurzgeschichten über ausgestorbene Tiere schrieben, die etwas mit ihnen selber zu tun haben. Charakterlich oder Namentlich. Hier wurden sieben dieser kurzen Stücke gezeigt. Jedes wurde einem Buchstaben im Alphabet zugeordnet. T wie der Tasmanische Tiger oder S wie die Stellersche Seekuh. Es war grandios. Eine Mischung aus Theater, Performance und Klangkunst zeigte sich hier, sowie die Wandelbarkeit der Antonia Beahr. Das Verhalten zwischen Mensch und Tier wurde sichtbar und wer zum Schluss als Sieger hervorgegangen ist. Eine lustige und zugleich traurige Performance. Die Zuschauer mussten zu den jeweiligen Orten mitgehen im Raum. Es war sehr eng und klein. Mit einer Herzlichkeit und Wärme leitete Beahr ihre Zuschauer an und sie hatte sie binnen ein paar Minuten um den Finger gewickelt. Schon bei FOUR FACES in Dresden fand ich sie großartig. Ich ging sehr gerührt aus dieser Vorstellung heraus. Großartig!

Tino Sehgal: [Ohne Titel][2000]

Drei Tänzer tanzen das Stück von Tino Segal, welches er vor 13 Jahren noch selber tanzte. Jeder in seiner eigenen Version. Ich schaute mir zwei an: Frank Willens und Boris Charmatz.

Frank Willens tanze im Foyer nackt auf einem harten Steinboden. Das Stück besteht aus Zitate von Choreographen. Ich entdeckte Tanzschritte aus Pinas Sacre. Das Foyer war voll und die Leute drängten sich um ihn. Man konnte seinen Schweiß sehen und manchen kam er so nah, dass sie seinen Atem spüren konnten. Es war fantastisch. Ein fantastischer Tänzer, der hier mit dem Publikum spielt. Alle wollten es sehen, doch kam er dem Zuschauer zu nah, rückten sie nach hinten, voller Angst berührt werden zu können. Sein Glied tanzte mit und eine Frau bekam es auch fast ins Gesicht. Er hielt es ihr sozusagen vor, wie später auch Boris Charmatz. Es war eine Provokation, auf die man sich einlassen konnte oder eben nicht. Ich fand es extrem spannend, wie das Publikum reagierte. Ich hatte aber auch noch nie so einen schönen nackten Mann gesehen, der in seiner Nacktheit und im Tanz immer noch so männlich war, obwohl er  auch Elemente aus dem klassischen Ballett tanzte. Es war faszinierend. 50 Minuten ging das Stück und wurde dadurch aufgelockert, dass er mit uns redete. Er hatte nicht sehr viel Platz aber er war wie ein Tier. Eine völlig andere Bühnensituation hatte Boris Charmatz. Er bekam die größte der Kampnagelbühnen. Zuschauer und Tänzer waren klar voneinander getrennt und er hatte viel mehr Raum für seine Bewegungen-  war aber auch nicht so nah am Zuschauer dran. Man erkannte die Stilistischen Unterschiede. Der Tanz im Foyer hat mich mehr beeindruckt, vielleicht weil ich da ganz vorne saß.

Ein aufwändiges Rahmenprogramm begleitet die Tanzplattform. Pitsching, Jurydebatte, Warm-Up. Man konnte gar nicht alles mitnehmen. Jeden Abend lud man zum Clubbing in die KMH. Sport -Spacken- Tanz, eine Uschi Geller Esperience. Sagen wir mal: Naja. Meins war es nicht. Verkleidete Performer machen auf Transe und laufen auf und ab. Es soll darum gehen sich mal gehen zu lassen, mitzumachen, zu trinken und zu rauchen. Es ging aber eher um die Performer, als um uns.

Im Foyer saß das Künstler-Duo aus New York, die mit uns eine Zeittafel konstruierten „The bureau for the future of choreography“. Ein Kamerateam filmte die Leute beim Schreiben.  Man konnte T-Shirts für 87 Cent kaufen auf denen „Life, Dance, Death“ stand. Ein schönes andenken und eine gelungene Tanzplattform, obwohl ich von Dresden vor zwei Jahren immer noch etwas mehr begeistert bin.

In zwei Jahren findet die nächste Tanzplattform in Frankfurt statt.

Spiel mit dem Körperlosem

Roland Walter war Veranstalter des Abends, der Raum brummend voll. Auf seiner „Künstlerrampe“ ließ er den Moderator und Mitbegründer der Initiative „Sexybilities“, Matthias Vernaldi, die junge Schauspielerin Marie Golücke ankündigen. „Marie ist extrem professionell, hat eine hohe Ausdruckskraft und kann mehrere Körper sichtbar machen.“ Zunächst einmal erinnerte mich AT LEAST NOT VISIBLE IF DISABLED PEOPLE FEEL an „Paradies : Glaube“ von Ulrich Seidel, oder die Performance „Liquid Skin“ von James Cunningham aus Australien.

Man hat Roland und Marie schon mal zusammen an einem Abend gesehen, jedoch als Performer zweier verschiedener Stücke, und zwar in München, am 15.02.2014 im Haus der kleinen Künste zum Performance-Abend „Körper und Ich„. LOVE EAT PUKE hatte Marie Golücke, mit Andreas Neu zusammen konzipiert, gezeigt. Roland Walter tanzte dort seine beiden, mit Yuko Caseki choreografierten Performances „Vogelflug“ und „Liberation of the powers in the body“. Nun waren Marie und Roland zusammen mit AT LEAST NOT VISIBLE auf der Bühne – eine wertvolle Kombination.

Da hopste sie aus dem Dunkeln hervor, in einem kurzen schwarzen Kleidchen. Ein körperlich behinderter Mann lag auf dem Boden. In diesem Moment erinnerte ich mich an all die Performer und Tänzer, die genau das versuchten, darzustellen – die verlorene Kontrolle um den Körper mit verzerrten Bewegungen, Zuckungen. Und hier war jemand, der das gar nicht darstellte. Roland Walter ist seit 2010 als Choreograf, Tänzer und Performer tätig. Ich sah Marie Golückes große Offenheit, sich auf ein solch sensibles Thema mit einer Natürlichkeit einzulassen, die einen Erlaubnisraum kreierte, als Zuschauer selbst diese Natürlichkeit mit dem Thema Sexualität und Behinderung zu erfahren.

Marie Golücke // Ackerstadtpalast
Roland’s Künstlerrampe, Montag, 24.02.2014

Eine undeutliche Stimme ertönte über die Lautsprecher. Ich nahm den Versuch wahr, einzelne Worte zu verstehen und mich zu ärgern, dass ich nichts verstehen konnte, doch ich entspannte mich. Das Wort „Mitleid“ kam ganz klar heraus. Von der weiblichen, klaren Stimme blieb mir „zumindest nicht sichtbar“ in Erinnerung. Die Frau teilte den Raum sehr respektvoll mit dem Mann, der, gekleidet in schwarzer Jogginghose und T-Shirt, auf dem Boden umher rollte. Ich fragte mich, wie sie wohl die Choreografie zusammen eingeübt hatten und konnte gar nicht glauben, wie das möglich gewesen war. Überrascht ließ ich eine Intimität auf mich wirken, die so ungewohnt und teilweise verstörend auf mich einwirkte und doch zärtlich, liebevoll und respektvoll war. In einigen Momenten kam der Kampf um die Sexualität zu tragen, die Wut über vermeintliche Behinderung und der Tanz herum um die Ausweglosigkeit.

Das Publikum bestand zum größten Teil aus Frauen, vielen jungen Mädchen. Als wir in der zweiten Hälfte der Performance als Zuschauer alle auf die Bühne gebeten wurden, um einen Ring um das Paar zu bilden, hatte ich ich den Eindruck, dass es uns gut tat, Sexualität, Nacktheit und Intimität ohne Wertung zu sehen. Marie und Roland hatten da etwas Unglaubliches gezeigt. All die Schablonen, wie wir sexuelle Interaktion, Beziehung und Werte betrachteten, fielen weg und waren schlichtweg ungültig, falsch, in diesem Moment. Was für eine Erleichterung und Befreiung.

„Ich bin auch da, wo ihr seid,“ sprach Roland’s undeutliche Stimme, und Marie sprach sie nach, wieder als Tonbandaufnahme. Sie zog seinen Körper über die Bühne und legte sich zu ihm, zog ihn aus, streifte sich seine Klamotten über, nachdem sie sich selbst bis auf die Unterwäsche ausgezogen hatte. Welche Frau würde sich schon die Klamotten eines behinderten Mannes anziehen? Eine sinnbildliche Frage, ob den Behinderung etwas Schmutziges sei, wäre unbeantwortet im Raum gestanden, löste sie sich nicht im Angesicht des Geschehens völlig in Luft auf.

Die körperliche Nähe, welche hier gezeigt wurde, wirkte in gleichem Maße irritierend und anziehend für mich, wie alltägliche Werbung mit explizitem sexuellen Kontext. Ist unser Verhältnis zu Sexualität nicht grundsätzlich behindert? Diese Art Szene als pervers und geschmacklos zu betrachten sind wir jedenfalls gewohnt. Es ist ein Tabu. Doch hier war kein Wort davon zu hören, nur das zu sehen, was ist, zu hören, wie es empfunden wurde.

Und es war wunderbar. All meine eigenen sexuellen Gefühle und Gedanken kamen hoch – Scham, Ekel, Erregung. Ein Vater hielt seine junge Tochter in den Armen, voller Erschaudern, das mit ihr zusammen zu sehen, doch sie hatten keine Wahl. Und ich glaube, es tat den beiden gut, hier nicht weg zu schauen. Auf die Bewertungsmaschinerie, welche wir antrainiert haben, konnten wir uns hier einlassen, oder eben nicht. Diese Wahl stand uns frei und eröffnete und uns die seltene Möglichkeit, uns unserer eigenen, persönlichen Behinderung mit Sexualität – allen Ängsten, Unzulänglichkeiten, unerfüllten Erwartungen und Begierden – zu stellen.

Marie Golücke und Andreas Neu gehen als Nächstes mit EAT LOVE PUKE auf Tour – zu sehen in der GalerieOutOfMyMind in Bremen am 22./23.03.2014. Zur nächsten „Künstlerrampe“ am 24.03.2014 sehen wir sie mit dem selben Stück wieder im Ackerstadtpalast und auch dort dann Roland Walter, dieses Mal mit Sonja Heller in SPEKTRUM.

Körper und Ich – Der Körper als Ausstattung

Marie Golüke und Roland Walter boten am 15.2.2014 eine dreiteilige Einzelperformance im Haus der kleinen Künste mit dem Dachthema „Körper und Ich“ dar. Die einmalige Aufführung in München lotete die Grenzen von Körpern und Körperlichkeit aus, die Möglichkeit der Manipulation des eigenen Körpers und damit auch die Konstituenten des Geschlechts und die Unmöglichkeit der Bewahrheitung von Liebe

Die Rahmung: welche Körperlichkeit darf auf die Bühne?

Das Programm kündigt Walters Performance „Vogelflug“ mit der vermeintlich pathetischen Frage an: „Frei sein wie ein Vogel. Wie geht das?“ Erst wenn man auf den Hinweis stößt, dass der Performer körperlich behindert ist, eine starke Behinderung, die ihn an einen Rollstuhl bindet, transformiert sich die Frage, die sich im Grunde zwischen Ratgeberliteratur und Kindersprache bewegt, in eine gewisse Radikalität, die Frage danach, wie sich Sehnsucht ökonomisiert, wenn die körperlichen Bedingungen dergestalt beeinträchtigt sind? Es entsteht eine diffuse, stumme und radikale Sehnsucht nach dem Anderen und Draußen. Die häufige Verwendung der Geburtsmetapher – sowohl die von der körperlichen Beeinträchtigung diktierte Embryonalstellung, die Fesselrequisite, die man als Nabelschnur verstehen kann, als auch das sehnsuchtsvolle Ins-Leere-Greifen auf die Sonne zu – kann man in diesem Kontext verstehen. Jedoch lässt dies für den Zuschauer keine Möglichkeit offen, sich irgendwie mit der Figur identifizieren zu können – die Aussage driftet sogar in eine Tautologie ab. Deswegen muss man zuschauen und Walters Darbietung als erzählende Innenschau hinnehmen, die sich in der Dialektik Freiheit/Gefangensein ergeht. Und diese bewegt sich durchgehend dann doch dem ersten Riecher gemäß in einem Zwischenstadium, dem die künstlerische Brechung fehlt.

Was hier zumindest versucht wurde, ist, einer Stimme, der wir sonst kaum Gehör schenken, Ausdruck zu verleihen. Aber bitte nicht, wenn man bedenkt, dass im Feld der Politik politische Maßnahme vonnöten sind, Quoten für körperliche Behinderte einzuführen, die nichts anderes als ihre gesellschaftliche Ohnmacht quittieren. Der Raum der Bühne sollte durch die Vorannahme der Möglichkeit der Ausserstandsetzung gesellschaftlicher Konventionen umso eindringlicher schildern können, was es heißt, behindert zu sein. Behinderte auf die Bühnen – aber bitte nicht als Behinderte!

golüke_Körper&ich

Das Geschlecht: „Eat, Love, Puke – Parfoce“

Das für diese Aufführung revidierte Stück von Cornelia Gellrich ist der Monolog einer Schauspielerin, die um der Idee der Schönheit willen sich selbst bis an die körperlichen Grenzen manövriert, und zwar im Fressen, in der Liebe und im Kotzen. Die sich auch deswegen in einem selbstgewählten Märtyrertum aufreibt, um dem existentiell verwurzelten Misstrauen gegenüber der Möglichkeit der Liebe des von ihr vergötterten Mannes entgegen zu wirken. Denn dem unverstandenen Überschuss, der aus solch einem Glücksfall resultiert, dem nämlich, erwiderter und tiefer Liebe, dessen quasi erwählt zu sein, muss man erst einmal beikommen. Sie muss sich selbst schnitzen und formen, um sich überhaupt in den Bereich zu drängen, in dem Begehren eine Rolle spielen kann. Sie rationalisiert mit dem Körper die Gabe der Liebe und verleiht ihm (und sich) vor dem object ambigou Macht, und zwar über eine negative (weibliche) Praktik: Selbstgeißelung in Form von Bulemie und Fresssucht, um überhaupt als liebenswerter Körper mit Investitionen bestimmt werden zu können. Die Überraschung bei der Behandlung des Themas ist also, dass bei der Problematik Masochismus als Liebesgarant keine Kompensationslogik oder Traumaargumentation zum Tragen kommt, sondern dass sich die Protagonistin über die Optimierungsmaßnahmen vor ihrer großen Liebe und ewig unerfüllt bleibenden Sehnsucht beweisen will.

Was ist dies jedoch anderes als sich in einem konservierten Körper zu befinden? Golüke setzt diesen Gedankengang gekonnt um, indem sie sich in Frischhaltefolie einwickeln lässt. Zusätzlich zu jener Blutstauchung durch den Wärmeverlust, der auftritt, wenn man bei geringer Bekleidung in dem außergewöhnlich kalten Raum steht (siehe Foto), kommt also die Blutstauchung durch Abschnürung der Blutbahnen. Dies verleiht der Aufführung eine Intensität und fügt dem Stück eine weitere Bedeutungsebene hinzu: Das erschöpfte Keuchen der Schauspielerin zeigt die Anstrengung um den ewigen Geliebten: das Publikum.

Die Darbietung: wohin mit dem Körper?

Damit haben wir hier zwei Verhandlung in einem dreisätzigen Stück, das nicht unterschiedlicher den Begriff „Körper“ fassen könnte: Während Walter sich mit dem Körper in der Dialektik Freiheit/Gefangenheit auseinandersetzt, ist Golükes Körper als Mittel zentriert, mit dem man doch nicht die Sehnsucht zu lieben und den Kampf geliebt zu werden einholen kann. Ein kurzer Moment der Befreiung kündigt sich an, wenn das Kotzen einsetzt, wenn der Körper an die Grenzen seiner Belastbarkeit geführt wird – und auch ich den Wunsch verspürte aufzuspringen, um die schwankende Golüke aufzufangen. Ein durchwachsener Abend.

Bild: copyright: Julian Herrfurth