4.48 Psychose – Kay Voges

Der Livestream als neue Chance für das Theater? Publikumsgewinn oder nur ein weiterer trostloser Versuch das Theater interessanter zu machen?

Die Heinrich-Böll-Stiftung lud zum Livestream von Dortmund nach Berlin mit anschließender Diskussion. Gestreamt wurde 4.48 Psychose von Sarah Kane in Regie des Dortmunder Intendanten Kay Voges. Dieser war selbst in Berlin anwesend. Da Kane in ihrem Testament verfügt hatte, dass ihre Texte nicht als Oper oder Film gezeigt werden dürfen, musste die Veranstaltung in geschlossenem Rahmen stattfinden. Auch der Chef des Rowohlt-Verlages, bei dem der Text liegt, war anwesend. Es ging los und nach ein paar technischen Übertragungsproblemen lief es. Im Vorfeld wurden wir über die technischen Begebenheiten informiert und wie teuer der ganze Spaß ist. In Dortmund war ein Live-Cutter am Werk und ein ganzes Team von Technikern. Es wurde zu einem technischen Hype stilisiert und aufgebauscht, sowohl im Vorfeld als auch in der Diskussion danach. Über die Aufführung wurden nur wenige Worte verloren, der Inhalt, die Ästhetik, das Zusammenspiel. Wie Tim Renner in seinem Statement sagte, sind wir ganz am Anfang und es ist eine Vision. Das erkennt man leicht daran, dass nur über den Stream an sich, über die Technik und die Möglichkeiten geredet wird, nicht aber über die Inszenierung. Die Frage nach der Inszenierung stellt sich hier insoweit, als das man sich fragen kann: Wie kann man über eine gestreamte Vorstellung berichten oder schreiben? Der Vortragsraum in der Heinrich-Böll Stiftung hatte natürlich nicht das Flair eines Theaterbesuches.

Was kann man jetzt über diese Inszenierung sagen. Im Zusammenhang mit der Veranstaltung bot sich die Inszenierung  an, da sie selber sehr digitalisiert war. Die drei Schauspieler spielten in einer Box, welche mit einer Art Leinwand umspannt war und auf der permanent Text und/oder die Gesichter der Schauspieler projiziert wurden. Nur ganz zum Schluss sah man die realen Körper, als die Leinwand abgerissen wurde. Der Zuschauer in Dortmund hatte also nur den Blick auf die Leinwand. Wir in Berlin hatten einen anderen Blick, da sich noch eine Kamera in der Box befand. Es waren drei Kameras und eine Handkamera, sowie die in der Box dabei. Der Cutter schnitt die Bilder während der Übertragung und wurde so zum Regisseur des Streams. Die Ebenen überlagern sich. Im Moment des Streams ist der Regisseur also nur noch teilweise Regisseur seines eigenen Stückes, da er die Kontrolle des was-gesehen-wird in die Hände des Technikteams gibt. Unser Blick wurde kontrolliert, die Zuschauer in Dortmund hatten einen Panorama-Blick im Gegensatz zu uns. Ich traue mich gar nicht das Stück zu kritisieren, da ich die ganze Zeit das Gefühl habe, ich habe nicht alles gesehen und kann keine objektive Meinung dazu abgeben. Die Schauspieler waren grandios. Trotz der Leinwand zwischen uns habe ich sie gespürt, doch der Live-Moment hat gefehlt und vor allem bei so einem Text und so einer großartigen schauspielerischen Leistung ist er unersetzlich.

Es ist eben kein Kino und es ist auch keine Kinoästhetik. Im Nachhinein wurde oft gesagt, dass man lieber in Dortmund gesessen hätte. Im Hintergrund der Box waren vier oder fünf Gestalten hinter ihren Laptops, die die Technik der Leinwand, in Dortmund, betreut haben. Sie waren die Doktoren und die Schauspieler die Patienten. Eingeschlossen in einer digitalen Welt und auf dem Weg ihren Verstand zu verlieren. Der Text als eine Aneinanderreihung von Monologen und Dialogen. Es gibt keine kontinuierlichen Handlungsverlauf, sondern nur das Immerselbe. Der Sound ist laut, die Schauspieler schreien, winseln und zerstören sich selbst. Das innere der Box ist zum Schluss ein Schlachtfeld und die Schauspieler auch. Wenn die Kamera frontal auf die Box gerichtet wird und man keinen Rahmungen mehr erkennt, dann ist es als säße man in einem Kino mit unbequemen Sesseln wo das Popcorn fehlt. Zum Schluss reißen die Schauspieler die Box ein und steigen hinaus. Wir bekommen durch die Kamera noch einen kleinen Einblick in den Backstagebereich.

Danach die Diskussion oder vielmehr das vortragen von Statements unterschiedlicher Menschen. Verschiedene Experten trugen ihre Ansichten vor. Zur Diskussion blieb dann keine Zeit mehr. Alle beteiligten waren fast durchweg positiv eingestellt, nur ein Publikumsbeitrag am Schluss kippte die Stimmung dann doch ein bisschen. Geraldine de Bastion, die Kuratorin eines großen Netzwerktreffens, machte auf die Vorteile des Livestreams aufmerksam. Zum einen können Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen die Streams sehen und Menschen aus Regionen die diese nicht verlassen können aus unterschiedlichen Gründen würde ein Zugang geschaffen werden. Diese Gründe sind alle richtig und nachvollziehbar aber ist unser Theater so international wie das London National Theatre? Daniel Hengst, der Videokünstler aus Dortmund, sagte etwas sehr Schönes: Wir müssen das Video und/oder den Livestream als etwas betrachten, was in der Inszenierung mitgedacht ist und seinen eigenen Platz hat und nicht als etwas was hinten dran gehängt wird. Der Livestream als neue künstlerische Herausforderung und als neues ästhetisches Medium kann durchaus funktionieren. Mehr Menschen das Theater zugänglich zu machen, sollte immer ein Bestreben sein: Warum also nicht mit Livestream? Dass das nicht ein allgemeingültiges Rezept werden kann ist logisch aber den Livestream als etwas Künstlerisches zu betrachten, als Teil der Inszenierung, ist ein guter Ansatz. Meine ganz persönliche Meinung ist, dass im Livestream ein gutes Potential liegt. Man könnte es wunderbar für Schulen einsetzen, die sich nicht leisten können ins Theater zu fahren, anstatt dem gemütlichen Filmeabend auf der Couch kann man einen Theaterabend machen, und für die Theaterwissenschaft beispielsweise und Tausende von Studenten würde es vieles vereinfachen. Dass ein Stream niemals das reale Theatererlebnis ersetzen kann, darin sind sich alle einig. Ich sehe es als eine Möglichkeit, das Theater weiter hinaus zu tragen und denke dass von einer Ko-Existenz beide Seiten profitieren würden.

Die Veranstaltung fand statt in Kooperation zwischen dem Schauspiel Dortmund, der Heinrich-Böll-Stiftung, dem Thalia Theater und nachtkritik.de

Der Artikel wurde am 12.12.2014 auf livekritik.de veröffentlicht. www.livekritik.de

Am 10. Dezember 2014 übertrug das Schauspiel Dortmund gemeinsam mit der Heinrich-Böll-Stiftung Berlin die Vorstellung von Sarah Kanes „4.48 Psychose“ in der Regie von Intendant Kay Voges per Live-Stream in die Stiftungsräume in Berlin, wo im Anschluss eine Diskussion zum Thema „Schauspiel im Stream – Fluch oder Segen?“ stattfand. Auch Livekritikerin Marie Golüke hat sich den Stream angesehen. (Anm. d. Redaktion)

Unverhoffte Familienbande und entgleisende Scherze – Die schwarze Komödie „Der Vorname“ in Landshut

kleines theater – KAMMERSPIELE Landshut

Familientreffen könnten so schön sein… KÖNNTEN! Aber wie wohl die meisten auch schon am eigenen Leib erfahren haben, verlaufen die trauten Zusammenkünfte in der Regel nie ganz ohne Reibereien und Diskussionen.

So müssen auch die Protagonisten der französischen Komödie „Der Vorname“ von Alexandre de La Patellière und Mathieu Delaporte erfahren, dass es mit der lieben Familie nicht immer ganz so einfach ist, vor allem wenn auch noch Ehepartner und Freunde mit von der Partie sind. Élisabeth, eine Vollblut-Lehrerin, -Hausfrau und -Mutter, lädt ihren Bruder Vicent, seine schwangere Frau Anna und ihren besten Freund Claude zu einem marokkanischen Abendessen ein. Ihr Gatte Pierre steht ihr dabei meist im Weg und stellt das perfekte Klischee des verplanten Literatur-Professors dar. An sich beginnt das Treffen völlig harmonisch und scheinheilig, allerdings kippt sie Stimmung, als Vincent den Namen seines Sohnes verkündigt: Adolphe. Pierre findet diesen Namen unmöglich, erinnert er doch sehr an einen österreichischen Diktator. Und schon beginnt unter den Anwesenden eine heiße Debatte um Moral, negative Belegung von Namen und das Recht auf freie Entscheidungen.

Als sich der Name lediglich als dummer Scherz von Vincent herausstellt ist die Stimmung jedoch schon so gereizt, dass immer wieder neue Diskussionen in Streitereien und Handgreiflichkeiten ausarten. Dabei verbünden sich selbst Personen, die zehn Minuten zuvor noch in verschiedenen Lagern kämpften. Und selbst der gutmütige Claude lässt am Ende des Abends eine Bombe platzen…

Bild: Iko Freese
Bild: Iko Freese

Das Stück erinnert mich etwas an „Der Gott des Gemetzels“, denn gerade die permanent wechselnden Fronten und die Protagonisten, die sich drehen wie Fähnchen im Wind, machen den Charme beider Komödien aus. Das fünfköpfige Ensemble unter der Regie des Kammerspiel-Intendanten Sven Grunert spielt gerade diese Aspekte hervorragend aus. Eigentlich sind ja alle rational denkende Menschen, doch im Inneren brodelt es und nach dem ersten Streit reichen nur Kleinigkeiten, um wieder zu einem Ausbruch zu führen. Vincent, der Erzähler und selbsternannte Held der Geschichte wird hervorragend von Sebastian Gerasch dargestellt. Er schafft es, seiner Figur den verschmitzten aber oft niveaulosen Humor zu verleihen, der es dem Zuschauer schwer macht zu entscheiden, ob man Vincent nun leiden kann oder nicht. Weitaus stiller und gutmütiger ist da Knud Fehlauers Figur Claude. Er ist nicht nur bei den „Ehefrauen“ des Stücks der Sympathieträger und lässt trotzdem durchscheinen, dass mehr hinter der netten Kumpel-Fassade steckt. Das Herren-Trio vervollständigt der bereits genannte, schusselige Professor Pierre. Stefan Lehnen zeigt herrlich den pedantischen Akademiker, der sich über unbedeutende Kleinigkeiten über die Maße aufregen kann. Relativ ruhig erscheint anfangs Pierres Ehefrau Elisabeth, gespielt von Stefanie von Poser, die alles daran setzt, ihr „perfektes Dinner“ wenn möglich auch mit aggressiveren Mitteln durchzusetzten. Sehr spießbürgerlich kommt auch anfangs Vincents Gattin Anna daher. Cornelia Pollak lässt ihre Figur zwar nach außen hin zufrieden wirken, jedoch auch schnell klar werden, dass sie mit ihrer Ehe nicht mehr ganz so glücklich ist.

Die Inszenierung von Grunert ist für viele möchtegern-intellektuelle Theatergänger wohl zu brav, aber für diese Komödie mehr als passend und von Anfang bis Ende kurzweilig und unterhaltsam. Dies ist einer der positivsten Aspekte des Hauses, dass es noch nicht dem Trend des Provokations-Zwangs folgt ein einfach verständliche und gelungene Inszenierungen zeigt. Das Publikum scheint dies wohl auch zu schätzen. Vor allem als die Wortgefechte der Protagonisten des Stücks Handgreiflichkeiten weichen bleibt wohl keine Auge im Zuschauerraum trocken. Der Humor ist stückbedingt zumeist sehr derb und sicher nicht für jedermann etwas. Ich persönlich hatte große Freude daran.

Weitere Termine sowie Informationen können auf unserer Veranstaltungsseite oder der Homepage des Theaters gefunden werden.

http://www.kleinestheater-kammerspiele-landshut.de/spielzeit-20142015/premieren/kalender/der-vorname.html

Zweites Treffen der Münchner privaten Schauspielschulen 2014

Am Mittwochabend, den 20.12.2014, steige ich mit einer Freundin die moosbewachsene Steintreppe, die in die Eingeweide des „theater…UND SO FORT“ führt, hinunter. In dem schmalen Flur drängen sich viele junge Menschen, fröhlicher Lärm schlägt uns entgegen, Begrüßungsrufe schallen quer durch die Schlange. Man kennt sich untereinander.

 

Es ist das zweite Treffen der Münchner privaten Schauspielschulen.

Ein Wettbewerb, den Heiko Dietz, Betreiber des „theater…UND SO FORT“ sowie der privaten Schauspielschule TheaterRaum München, letztes Jahr ins Leben rief. Zu gewinnen gibt es den MAX, dotiert mit einem stattlichen Preisgeld von 1000 Euro.

Gefördert wird das Projekt von THETA e.V. (Verein zur Förderung der freien Theater- und Tanzkultur in München)

 

Die Regeln sind unkompliziert. Zu inszenieren ist eine Performance aus folgenden Vorgaben:

Thema: Rückwärts

Pflichtbühnenbild: 2 weiße Stellwände 1m x 2m, 1 Umzugskarton

Pflichtrequisite: 1 Zollstock (weitere Requisiten erlaubt)

Licht: Einheitslicht, keine Specials (z.B. besondere Farben, Spot etc.)

Ton: Bei Bedarf frei einsetzbar

Darsteller: Mindestens drei

Dauer: 20 Minuten

Genre: Frei

 

Die Teilnehmer dieses Jahr:

ISSA – Int. Schule für Schauspiel & Acting

Neue Münchner Schauspielschule

Schauspielschule München

Schauspielschule Zerboni

TheaterRaum München

 

Gespielt wird an vier Abenden, von Mittwoch bis Samstag. Die Reihenfolge der auftretenden Schulen wird jeden Abend neu ausgewürfelt und dem Publikum erst am Ende des Abends mitgeteilt.

Ein spannendes Ereignis mit Überraschungen, wie z.B. die verschiedenen Interpretationen des Thema „Rückwärts“.

 

Die Neue Münchner Schauspielschule beschreibt dieses Thema in zwei Monologen und einer Szene aus dem Stück „Die Zofen“ von Jean Genet. Verquere Liebe und Sehnsucht, sowie ein rückwärtiger Blick auf das eben Vorgetragene bestimmen die Performance.

Einen zusammengefassten Rückblick auf William Shakespeares „Hamlet“ spielen drei Schüler der ISSA mit viel Witz und choreografierten Bewegungen. So wird z. B. die soeben gespielte Zusammenfassung rückwärts mit den gleichen Worten und Bewegungen akkurat wiederholt.

Mit einem aufregenden Thriller schlägt TheaterRaum München das Publikum in den Bann. Zwei Freunde versuchen ihre vermisste Freundin aus einem dubiosen Forschungslabor zu befreien. Der Zuschauer wird von Rückblenden und lauter Musik verwirrt, bis sich zum Schluss alles in der ersten Szene auflöst.

Die Schauspielschule Zerboni begeistert mit einer Szene zwischen zwei ungleichen Pärchen. Es geht um Betrug, Sehnsucht, Liebe und den Rückblick auf die verschiedenen Ehen, nie Gewagtes und verpasste Erfahrungen. Unterstützt wird diese Performance durch die perfekt synchronisierten Dialoge zwischen den Paaren.

Eine ungewöhnliche Nutzung der Requisiten bietet Schauspiel München. Es geht um vier Schauspieler, die hinter den Kulissen einen Rückblick auf ihre Arbeit, vergangene Beziehungen und Erfahrungen, werfen. Im Fordergrund steht die Inszenierung eines fiktiven Stückes, wozu die Schauspieler in Umzugskartons gehüllt sind.

Insgesamt überzeugen alle Schulen mit großer Spiellaune und einem abwechslungsreichen Programm, welches beste Unterhaltung voller Kreativität bietet.

Ein gelungenes, sehenswertes Projekt, das auf jeden Fall nächstes Jahr wieder stattfinden sollte!

 

 

 Den MAX nahm am letzten Abend die Schauspielschule Zerboni mit nach Hause.

 Herzlichen Glückwunsch!

Flucht aus dem Garten Eden – Peter Pichlers „Zurück im Paradies“ in München

Schwere Reiter

Was wurde eigentlich aus der ersten Liebesgeschichte der Menschheit? Nach einem kleinen Unfall mit etwas Frischobst wurden die menschlichen Prototypen Adam und Eva ja bekanntlich von ihrem Schöpfer aus dem Paradies verbannt. Doch wohin führte die beiden ihr Weg?

Diese Frage klärt der Musiker und Regisseur Peter Pichler in seiner neuen Musikthaterproduktion „Zurück im Paradies“, die am 5. Dezember im Theater der Schweren Reiter uraufgeführt wurde. Die Inszenierung basiert auf dem gleichnamigen Roman des Universalkünsterls Funny van Dannen, mit dem Pichler auch zusammenarbeitet. Bereits in seiner utopischen Kammeroper „Bloss a Gschicht“, die 2011 Premiere feierte (wir berichteten), wurden Texte und Songs eines Künstlers – in diesem Falle Hans Söllner – zu einem Theaterabend verwoben. Obwohl das Grundprinzip wieder aufgegriffen wurde, ist dem Zuschauer jedoch vor allem aufgrund des sehr anderen Stils van Dannenes ein völlig anderer Theaterabend geboten.

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Erzählt wird die Geschichte von Adam und Eva, die sich bereits durch die Weltgeschichte gelebt haben und nun einen kleinen Tante-Emma-Laden betreiben. Adam ist jedoch unzufrieden mit seinem Leben und so beschließen die beiden, Gott wieder einmal einen Besuch abzustatten. Der Alte sitzt mit Jogginghose und Morgenmantel über der Tageszeitung und fühlt sich einsam. Er schlägt seinen abtrünnigen Kindern vor, wieder ins Paradies zu ziehen. Doch die beiden haben inzwischen ein eigenes Leben mit Freunden und Familie aufgebaut und wollen dieses – wenn auch schlichte – Dasein nicht aufgeben. Und so kämpfen sie tagtäglich mit den Tücken des Mensch-Seins: Gewalt, Gefühlskälte, Sex und aggressive Waldbewohner, die sich an den Menschen rächen wollen.

Ich persönlich kannte vor der Premiere noch nichts von der Musik des Wahlberliners van Dannen, aber sie ist wieder inhaltlich sehr passend in die Story eingefügt und im Gegensatz zu „Bloss a Gschicht“ mit modernen Instrumenten wie E-Cello, E-Bass oder Trautonium sehr aktuell interpretiert. Die Bandmitglieder fungieren als Engel Gottes in orangem Overall und Wollmützen. Herrlich auch ihr Auftritt als Gitarren-Mundharmonika-Quartett mit Hirschgeweihen!

Neben den Musikern stehen auch drei Schauspieler auf der Bühne, die Gott, Adam, Eva und andere Nebenfiguren darstellen. Der Schauspieler und Kabarettist Stephan Zinner hat schon in der letzten Produktion Pichlers bewiesen, dass er durchaus mehr als nur lustig sein kann. Sein Adam scheint zwar meist sarkastisch und unbekümmert, doch bringen ihn Kleinigkeiten wie ein misslungener Dekorationsversuch aus der Fassung. Auch scheint seine Beziehung zu Eva nicht mehr so glücklich zu sein, wie es vorgesehen war. Sie wird von Anett Krause dargestellt, die mit lautem und selbstbewusstem Auftreten der Figur trotzdem etwas Verlorenes gibt. Sie überlegt eigentlich, ins Paradies zurück zu gehen, doch scheint ihre Pflicht darin zu sehen, bei Adam zu bleiben. Dieser zeigt ihr jedoch immer öfter die kalte Schulter, selbst wenn sie ihm ihre Liebe gesteht. Als sich die beiden einige Zeit aus den Augen verlieren, findet sie eine glücklichere Beziehung. Gott bleibt weitestgehend außerhalb der Beziehung, alleine an seinem Lesetisch. Jochen Striebeck zeigt einen müden, einsamen Gott. In seinem Jähzorn hat er nicht nur seine Kinder, sondern auch andere Begleiter verloren; etwa einem Engel, der auf die Erde verbannt wurde und dort umkam. Immer wieder versucht er daher, Adam und Eva wieder zu sich zu locken.

Trailer

Die Story klingt an sich dramatisch, wird aber immer wieder durch tragi-komische und einfach nur irrwitzige Momente aufgelockert. So wird das Problem erörtert, dass der Himmel mit Meerschweinchen überfüllt ist, die es Petrus angetan haben. Oder dass ehemalige Zirkushirsche Menschen die Hosenträger klauen und daraufhin von den beleidigten Zweibeinern mit Gulasch vergiftet werden. Interessant ist, dass viele Szenen nicht gespielt, als vielmehr als private Gespräche erscheinen. Immer wieder sprechen sich die Darsteller etwa mit ihren echten Namen an. Man kann nicht unterscheiden, ob es nun tatsächlich zur Inszenierung gehört oder wirklich spontan entsteht. All das macht „Zurück im Paradies“ zu einem absurden, nachdenklichen aber auch unterhaltsamen Theaterabend.

Im Schwere Reiter ist die Inszenierung nur noch heute Abend zu sehen, soll jedoch im nächsten Jahr wieder aufgenommen werden. Infos finden Sie auf der Webseite des Regisseurs Peter Pichler und des Theaters.

Peter Pichler

Schwere Reiter

Weihnachten aus einer anderen Perspektive – Das Kinderstück „Ox und Esel“ der Gruppe Südsehen

Einstein Kultur

Wie alle Jahre wieder weihnachtet es in München. An jedem Eck findet mal Christkindlmärkte mit pappigem Glühwein und Christbaumschmuck made in China. Wirkliche Tradition ist rar geworden, doch immerhin im Kindertheater geht es meist noch richtig besinnlich zu.

Eine wunderschöne Interpretation der Weihnachtsgeschichte heißt „Ox und Esel“, stammt aus der Feder des Autors Norbert Ebel und ist derzeit eines der beliebtesten und meistgespielten Kinder-Weihnachtsstücke in Deutschland. Diese herzliche Komödie hat sich auch die Münchner Gruppe Südsehen zum Weihnachtsstück auserkoren, sie wurde jedoch zum Teil von deren Gründer Robert Ludewig ins Bairische übersetzt und von Simone Birkner inszeniert. Heute durfte ich am ersten Spieltag zusammen mit einer aufgeweckten Kindergarten-Gruppe eine der Vorstellungen erleben.

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Aber erst einmal zur Story: In einer kalten Winternacht kommt der Ochse von der Arbeit nach Hause in seinen Stall und freut sich auf sein Abendessen. Doch das stellt sich als schwierig heraus, da in seiner Futterkrippe ein kleines Baby liegt. Der Mitbewohner Esel, der in Sachen Klatsch und Tratsch immer auf dem Laufenden ist, kann das Rätsel schnell lösen. Er hat vom Jesuskind gehört, das in Bethlehem in einem Stall zur Welt gekommen ist und ist überzeugt, dass es ihr kleines Findelkind sein muss. Der Ochse ist nicht begeistert von dem schreienden Eindringling und verlangt vom Esel, dass er das Kleine los werden soll. Dieser bringt es jedoch nicht über’s Herz und als auch noch die Soldaten des bösen Königs Herodes anklopfen, um das Baby mit zu nehmen, beschließen die beiden Tiere, sich gemeinsam um den kleinen Jesus zu kümmern, bis die Eltern wieder kommen.

Wie schon in der ersten Inszenierung der Gruppe, Schillers „Kabale und Liebe“, spricht auch hier mit dem Esel nur ein Teil der Figuren Bairisch. Dies funktioniert sehr gut, weil die Figur durch den Dialekt automatisch warmherziger wirkt, als der auf hochdeutsch schimpfende Ochse. Außerdem passt das gelegentliche „I aa“ (also „Ich auch“) des Esels im Dialekt einfach perfekt zum Esel. Leider bewies sich in der von mir besuchten Vorstellung mal wieder, dass viele der Kinder die bairische Sprache nur noch schwer verstehen. Eine traurige Entwicklung. Trotzdem fieberten die jungen Besucher mit den Protagonisten und versuchten den verdutzten Stallbewohner mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Die beiden Schauspieler Robert Ludewig als Esel und Thomas Roon als Ox gingen auch sehr gut auf die Kinder ein, wohl eine der schwierigsten Herausforderungen im Schauspieler-Beruf. Beide Herren spielen mit Herz und Seele und schaffen es, ihren Figuren sowohl tierische als auch liebenswerte menschliche Züge zu verleihen. Der Ochse ist aufbrausend und laut, der Esel listig aber schnell eingeschüchtert. Durch viele Slapstick-Einlagen und großen Momenten der Freundschaft packen die beiden nicht nur die Kinder im Publikum.

Das Bühnenbild ist recht schlicht gehalten. Der kleine Stall besteht nur aus Brettern und ein wenig Stroh. Aber das reicht völlig aus, die gemütliche Atmosphäre eines Stadels darzustellen. Sehr interessant sind die Kostüme, die ebenfalls von Aylin Kaip stammen. Die beiden Protagonisten sehen mit heruntergekommenen Klamotten auf den ersten Blick aus wie Obdachlose, aber durch die Farbwahl und kleine Details wie einer grauen Krawatte als Eselsohren und vor allem viel kindlicher Fantasie werden aus den Schauspielern natürlich die Titelhelden. Eine super Idee!!

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Man muss kein Kind sein und auch keine Kinder dabei haben, um an dieser beherzten Inszenierung großen Spaß zu haben. Selten bekommt man die Weihnachtsgeschichte aus dem Blick der „Helden im Hintergrund“ erzählt und es lohnt sich auf jeden Fall. Nicht zuletzt wegen dem passenden und erfrischenden Umgang mit dem bairischen Dialekt!

Die Spieltermine im Einstein Kulturzentrum und im Vereinsheim der Freunde der Vorstadt AU sind bald auf unserer Veranstaltungsseite und auf der Webseite der Gruppe zu sehen!

Südsehen

Improcup-Finale 2014

Die Unrasierten Gentlemen vs. Bühnenpolka

Ganz viel Liebe und Harmonie gab es am Samstag beim Finale des Fastfood Improcup 2014 zu sehen und zu spüren. Obwohl der im Scheinwerferlicht glänzende Pokal letztlich nur von einer Gruppe mit nach Hause genommen werden kann, forderte das Publikum immer wieder gleich viele Punkte für beide Teams und sicherlich gingen viele mit einem lachenden und einem weinenden Auge nach Hause. Lachend in Gedanken an die vielen großartigen Momente des Abends und aus Freude über den Sieg der „Unrasierten Gentlemen“ von Impro Berlin, weinend darüber, dass „Bühnenpolka“ aus München trotz vieler wunderbarer Szenen als Verlierer aus dem Match hervorgingen.

Auch auf der Bühne war love in the air, es wurde viel geknutscht, vor allem auf Seiten der Gentlemen, und als Tobias Zettelmeiers (Bühnenpolka) Mikrophon den Geist aufgab, sprang Kjel Fiedler (Unrasierte Gentlemen) ihm kurzerhand bei und schob ihm seines unters Hemd, während Musiker Michael Gumpinger romantische Melodien auf dem Klavier dazu spielte. Natürlich gab es nicht nur Liebesszenen, wie einen Heiratsantrag nach Sprung vom Eiffelturm oder den improvisierten Zirkusfilm „Unterm Trapez“, in dem die Akrobatin sich endlich dem geliebten Zirkusdirektor in die Arme werfen kann. Da war zum Beispiel auch die Katze Minka, die bei Großmutters 80. Geburtstag unglücklicherweise zwischen Großmutter und Tischkante eingeklemmt und dann auch noch von einem Messer am Kopf getroffen wird, woraufhin die Großmutter einen Schock erleidet und Minka ins Grab folgt. Oder die verkorkste Familie, in der Vater und Mutter nicht nur den Bruder des Mannes sondern auch noch den eigenen Sohn lebendig im Kies begraben.

Auch wenn der Improcup 2014 nun zu Ende gegangen ist, kann man sich schon aufs nächste Jahr freuen. Im Januar 2015 geht es wieder los, auf die Teams darf man noch gespannt sein!

Die Sprachen der Gesellschaft – „Kabale und Liebe“ der Gruppe Südsehen

Einstein-Kultur München

„Kabale und Liebe“ gehört vermutlich zu einem der meist-inszenierten Stücke in der deutschsprachigen Theaterwelt. Wahrscheinlich kennt auch jeder – zumindest aus dem Deutschunterricht – die Geschichte um Luise und ihren Ferdinand, den Konflikt zwischen dem Bürgertum und dem Adel, zwischen Vater und Sohn… Ich selbst habe schon drei – auch qualitativ – völlig unterschiedliche Inszenierungen des Stücks gesehen, gestern folgte Nummer vier.

Bereits im März feierte Kabale und Liebe – Ein bayerisches Trauerspiel im Einstein-Kulturzentrum Premiere, nach einer Pause wird es nun nochmals gezeigt. Die neugegründete Gruppe Südsehen um den Regensburger Schauspieler und Regisseur Robert Ludewig nimmt sich den Kontrast zwischen den bürgerlichen und adeligenKabale 2 Figuren zum Schwerpunkt und zeichnet diesen vor allem mit großen sprachlichen Unterschieden. Die Bürger sprechen im bairischen Dialekt, die Adeligen in der schiller’schen Hochsprache. Dieser naturalistische Touch verfehlt seine Wirkung nicht: die Differenzen zwischen den Ständen wirken noch größer, als es in der Textvorlage aus dem 18. Jahrhundert der Fall ist. Dabei sind die Bayern in dieser Inszenierung keinesfalls humoristische Figuren, wie es häufig bei „Übersetzungen“ von Klassikern ins Bairische der Fall ist. Gerade der Musiker Miller (Erwin Brantl, der auch die bairischen Passagen des Stücks verfasste) ist die menschlichste Figur dieser Inszenierung und seine Sprache verdeutlicht, dass er nicht einen künstlichen Schein aufrecht erhalten will wie viele Mitmenschen.

Auch Luise (Désirée Siyum) und Sekretär Wurm (Robert Ludewig) sprechen Bairisch, jedoch wechseln sie je nach Situation und Ansprechpartner zwischen Dialekt und Schriftdeutsch. Luise etwa redet mit ihren Eltern Bairisch, wenn sie jedoch mit oder über Ferdinand spricht, verwendet sie die Sprache Schillers. Wurm hingegen scheint seine Sprache zu benutzen, um in Bürgertum und Adel gleichermaßen akzeptiert zu werden und sein Gegenüber zu beeinflussen. Gerade in diesen beiden Figuren zeigt sich, dass ein Dialekt – wie im wirklichen Leben – vor allem mit Emotionalität zu tun hat. Es ist auch ein Anliegen der Gruppe, den Wandel des Bairischen von Generation zu Generation zu zeigen. Die jüngeren Figuren scheinen sich „höher gestellten“ Gesprächspartnern gegenüber für ihren Dialekt zu schämen und verbergen diesen deshalb.

Ansonsten ist die Inszenierung sehr traditionell gehalten, was jedoch wegen des hervorragenden Ensembles alles andere als langweilig ist. Vor allem die beiden Vaterfiguren sind mit Erwin Brantl als Miller und Amadeus Bodis als Präsident großartig besetzt und sehr stark. Die tiefe Gläubigkeit Millers passt vor allem auch zu seinem Dialekt, schließlich werden Bayern gerne als sehr gläubig dargestellt.

Quelle: Facebook
Quelle: Facebook

Die Dialoge zwischen Luise und ihrem geliebten Vater sind wundervoll gespielt und wirken vor allem durch die natürliche Sprache sehr intensiv. Ulrike Dostal spielt sowohl Frau Miller, die in der Beziehung ihrer Tochter zum Major ihren eigenen gesellschaftlichen Aufstieg sieht, als auch Lady Milford. Die Adelige wird hier deutlicher als Antagonistin gezeichnet, als es in vielen anderen Inszenierungen des Stücks der Fall ist. Sie will Ferdinand für sich. Am Ende scheint sie nicht aus Erschütterung über Luise zu verzichten, sondern um nicht aus Verliererin aus dem Streit hervorzugehen. Sekretär Wurm, gespielt vom Regisseur Robert Ludewig, ist der wahre Intrigant der Inszenierung. Er wirkt ruhig und unterwürfig, spielt jedoch geschickt die anderen Figuren gegeneinander aus. Die Beziehung zwischen Luise und Ferdinand (Thomas Trüschler) bröckelt schon zu Beginn des Stückes. Während er sie glücklich machen will weist sie ihn bereits im ersten Dialog zurück, da sie weder sich noch ihren Liebsten den Problemen dieser unstandesgemäßen Liebschaft aussetzen will. Ferdinand will sich zwar von seinem Vater distanzieren, scheint jedoch dessen Jähzorn geerbt zu haben, was vor allem das Bühnenbild zu spüren bekommt.

 

Die Kostüme sind historisierend und zeigen deutlich die Stände der Figuren. Gerade Lady Milford und von Kalb nutzen ihre Kleidung vor allem als Fassade. Bei der Figur des Hofmarschalls sind noch Reste eines Dialektes zu hören, umso aufwändiger gestaltet er sein aristokratisches Aussehen und Verhalten. Das Bühnenbild (wie die Kostüme von Aylin Kaip) hingegen ist sehr schlicht und wird im Laufe der Vorstellung immer mehr zerstört.

Klar ist die Übertragung von Klassikern ins Bairische nichts Neues mehr, jedoch wird vermutlich sehr selten auch innerhalb des Stücks zwischen verschiedenen Ebenen des Dialekts unterschieden. Dies zeigt also nicht nur einen Unterschied zwischen Bürgertum und Adel, sondern auch zwischen Generationen und Individuen. Eine spannende Herangehensweise an den schiller’schen Text. Dieses Spiel mit der Sprache funktioniert auch deshalb besonders gut, da die Darsteller das Bairische wirklich beherrschen. Es ist die wichtigste Voraussetzung, um die Sache nicht lächerlich wirken zu lassen. Man darf gespannt sein, was die Künstler von Südsehen in Zukunft auf die Beine stellen.

Die Inszenierung ist noch von heute bis einschließlich Sonntag bei Einstein-Kultur zu sehen. Infos zum Stück und zur Kartenreservierung gibt es auf der Homepage von Südsehen.

http://www.suedsehen.de/termine.html

Trailer: https://www.youtube.com/watch?v=YAkrhfeUAyA

Psychokrieg im bäuerlichen Milieu – Tolstojs „Die Macht der Finsternis“ in München

theater…und so fort

Düstere Abende im theater…und so fort: Diesen Monat feierte Lew Tolstojs naturalistisches Drama unter der Regie des Schauspielers Konrad Adams Premiere. In den fünf Akten des Stücks wird ein meist trostloses Bild des bäuerlichen Russlands gezeichnet: Der Bauer Pëtr quält sich mit einer schweren Krankheit herum, tyrannisiert jedoch trotzdem seine Frau Anisja und seine Töchter aus zwei Ehen. In ihrer Verzweiflung flüchtet sich die Bäuerin in eine Affäre mit dem Knecht Nikita, der jedoch mit seiner ehemaligen Geliebten Marinka verheiratet werden soll. Nikitas Mutter Matrjona kann nicht nur diese Ehe verhindern, sondern hilft Anisja auch noch, ihren Mann zu vergiften. Nach Pëtrs qualvollen Ableben heiratet Anisja den Knecht, doch Nikita verprasst das Geld seiner neuen Ehefrau, beginnt eine Liebelei mit seiner Stieftochter Akulina und wird zu einem noch schlimmeren Scheusal, als Pëtr es war. Sein Vater Akim und der gutmütige, neue Knecht Mitrič versuchen vergeblich, den Frieden im Haus wieder herzustellen, stoßen jedoch auf taube Ohren. Als Nikita schließlich aus Versehen Akulina schwängert, gewinnen Anisja und Matrjona wieder die Oberhand.

Leichte Kost sind das Stück und die Inszenierung definitiv nicht. Im düsteren, trostlosen Bühnenbild Heinz Konrad agiert eine

Heiko Dietz, Ute Pauer
Heiko Dietz, Ute Pauer

Gruppe von hochkarätigen Schauspielern. Die beiden Hauptdarsteller Ute Pauer als Anisja und Heiko Dietz als Nikita etwa können in jeder Sekunde die Spannung aufrecht erhalten. Sie wandeln sich vom geheimen Liebespaar zu zwei egoistischen Einzelgängern, die um die Dominanz in der Beziehung kämpfen. Anisja zeigt immer nur ihre zerbrechliche Seite, wenn ihre Kontrahenten nicht zugegen sind. Sie leidet unter ihren Männern, ist jedoch eiskalt wenn sie ihrem sterbenden Ehemann das Geld stiehlt oder Nikita zwingt, sein neugeborenes Kind zu töten. Nikita spielt zwar den großen Weiberhelden, ist jedoch immer schnell und auch in Gegenwart anderer emotional völlig überfordert.

Susanna Hasenbach stellt die Rolle der kindlichen Anjutka nicht nur durch ihre Statur, sondern auch durch ihr naives Spiel sehr überzeugend dar – ihr gegenüber steht Noelle Cartier van Dissel als Anjutkas Halbschwester Akulina. Anfangs wird diese von ihrer Stiefmutter schikaniert, später von Nikita ausgenutzt und letztendlich gegen ihren Willen verheiratet. Ihre Darstellerin zeigt eine burschikose und doch naive junge Frau, die nicht merkt, dass sie letztendlich nur als Spielball für die anderen dient. Einen kurzen und doch beeindruckenden Auftritt hat Uwe Kosubek als kranker Bauer Pëtr, der die Bühne zu Beginn bereits hustend, keuchend und mit vollgepinkelten Hosen betritt. Die Figur täte einem Leid, wenn er nicht gleichzeitig ein solches Scheusal wäre. Als er sein Ende kommen sieht, gibt es jedoch einen wundervollen versöhnlichen Moment mit der jüngeren Tochter Anjutka, die ihrem sterbenden Vater einen Kuss auf die Wange gibt.

Solche kleinen Gesten der Menschlichkeit blitzen immer wieder in Konrad Adams‘ Inszenierung auf und helfen dem Zuschauer sehr durch dieses düstere Psycho-Drama. So freundet sich der gutmütige Mitrič (gespielt von Wolfgang Haas), der ebenfalls sehr unter dem Kleinkrieg und seinem Alkoholentzug zu leiden scheint, mit Anjutka an. Ein weiterer Sympathieträger der Inszenierung ist Winfried Hübner als gläubiger Akim. Dieser will einfach nicht verstehen, wie schlecht und rücksichtslos Menschen und allen voran sein Sohn Nikita handeln können. Er versucht vergeblich, die – in dieser Inszenierung mehr als hitzigen – Gemüter zu beruhigen, hat jedoch am Ende selbst einen schrecklichen Wutausbruch, als sein gutes Zureden nicht fruchtet.

Heiko Dietz, Winfried Hübner
Heiko Dietz, Winfried Hübner

Als Zuschauer wird man jedenfalls mitgerissen von den starken und ungeschönten Emotionen, die einem von Adams und seinem Ensemble regelrecht entgegen geschleudert werden. Zwar gibt es sehr vereinzelt winzige humoristische Kommentare oder Situationen, ein Großteil der Lacher sind dann aber wohl eher Ausdruck einer inneren Anspannung, die sich von der Bühne in den Zuschauerraum ausbreitet. Der Regisseur hat die naturalistischen Wurzeln des Stückes auf jeden Fall im Spiel sehr ernst genommen. Zeitlich ist es jedoch eher in moderneren Zeiten angelegt, im Hintergrund hört man Traktoren und Autos und auch die Kleidung scheint nicht aus dem Ende des 19. Jahrhunderts zu stammen.

Das Bühnenbild Heinz Konrads und die Kostüme von Andreas Haun sind ebenfalls naturalistisch angehaucht, haben jedoch auch abstrakte Elemente. So trägt Nikita zum Beispiel zur Hochzeit seiner Schwiegertochter nur ein Hemd zur verdreckten Arbeitshose. Auch die schöne Fassade der Figuren kann also nicht immer über das problematische Innere hinwegtäuschen.
Ein sehr mitreißender Theaterabend für Fans anspruchsvoller Dramatik und wirklich großartiger Schauspieler. Das Stück wird noch bis 17. Mai mehrmals die Woche gezeigt. Karten und Infos gibt es unter der folgenden Adresse.
http://www.undsofort.de/stueck/die-macht-der-finsternis,491

 

„I can’t stop coming“ – multiple Orgasmen auf der Probebühne 3/ Münchner Kammerspiele

Mutig, aber zuweilen etwas platt kommt die Inszenierung des 2. Jahrgangs Regie daher. Von allem ein bisschen zu viel – das ist der Eindruck, den ich schon beim Betrachten des Bühnenbilds habe: Liegestuhl, Boule-Ausrüstung und Schaukelpferdchen sind da nur der Anfang. In den ersten Minuten schleppen die fünf Protagonisten noch so allerhand auf die mit Granitsteinchen übersäte Bühne.

Die „theatrale Collage“ von Katharina Bianca Mayrhofer ist dazu laut – die Darbietung umfasst Minnesang, Stöhnen, Laute (wobei man nicht immer sagen kann, was sie darstellen, aber das ist wohl so gewünscht) und Texte u.a. von Valentin Brenner und Walther von der Vogelweide. Besonders herausstechend sind aber die Gedichte, die aus Kommentaren von Youporn-Filmen entstanden sind. Ja, man kann dort auf der Plattform direkt Feedback zum Gesehenen geben.

Dabei ist der Ansatz gut: die übersexualisierte Gegenwart in der immer grenzenloser werdenden Gesellschaft bildet den Mittelpunkt der Inszenierung. Das Stück schwächelt deshalb, weil die Erkenntnisse, die es hat, nicht neu sind und auch nicht weiterführend. Die sexbetonte Moderne hat schon allerhand Beachtung gefunden, die Einwände sind nicht überraschend. „Das hier ist ein Porno und keine Amazon-Rezension“, sagt die Pornodarstellerin zum jungen Mann, der mit seinen Gedanken ins Philosophische abzuschweifen vermag. Dass gerade die Generation Y immer mehr abstumpft und sich keine Zeit mehr nimmt, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen, ist sicherlich richtig beobachtet.

Es wollen aber zu viele Themen hier Beachtung finden. Die Frau als Objekt, die nur für die männliche Lust da ist auf der einen Seite, die uns erlösende Liebe auf der anderen. Spätestens im Epilog, als Freuds Penisneid ausführlich zur Debatte steht, weiß ich nicht mehr, wo die Inszenierung hingeht.

Ein lustiger Einschub sind die expliziten Erklärungen einiger etwas nicht ganz so bekannter Sexpraktiken wie z. B. Bukkake. Die Liebe, die auch mit ins Spiel kommt, wirkt hier dann aber irgendwie fehl am Platz.

Mit: Nurit Hirschfeld, Eva-Maria Kapser, Ilja Roßbander, Frederik Schmid, Alina Stiegler, Jeff Wilbusch. Mehr zum Stück hier.

 

 

 

Philoktet in der Pasinger Fabrik // 26.03.2014

Unter der Regie von Maximilian Sachsse und in Zusammenarbeit mit dem Ensemble Lichtbühne ist ein Stück entstanden, ein Potpourris, in dem bloßer, oberflächlicher Eklektizismus heterogene, aber unter dem Anstrich des kleinbündigen Politischen und Brisanten, Elemente versammelt, ohne auf ihre Herkunft oder ihr Funktionieren im Zusammenhang einer SPRACHE zu achten. Hierbei, auch wenn man von Resemantisierung – z. B. der Gelben Farbe in Anlehnung an die thailändischen „Yellow Shirts“ auf dem Gesicht des griechischen Chores – spricht, kommt dies in Wahrheit einer Desemantisierung gleich. Soll man nun glücklich sein, dass es im Zuschauerraum größtenteils Schüler eines hiesigen Gymnasiums saßen?

(mit nachträglichen Korrekturen)