4.48 Psychose – Kay Voges

Der Livestream als neue Chance für das Theater? Publikumsgewinn oder nur ein weiterer trostloser Versuch das Theater interessanter zu machen?

Die Heinrich-Böll-Stiftung lud zum Livestream von Dortmund nach Berlin mit anschließender Diskussion. Gestreamt wurde 4.48 Psychose von Sarah Kane in Regie des Dortmunder Intendanten Kay Voges. Dieser war selbst in Berlin anwesend. Da Kane in ihrem Testament verfügt hatte, dass ihre Texte nicht als Oper oder Film gezeigt werden dürfen, musste die Veranstaltung in geschlossenem Rahmen stattfinden. Auch der Chef des Rowohlt-Verlages, bei dem der Text liegt, war anwesend. Es ging los und nach ein paar technischen Übertragungsproblemen lief es. Im Vorfeld wurden wir über die technischen Begebenheiten informiert und wie teuer der ganze Spaß ist. In Dortmund war ein Live-Cutter am Werk und ein ganzes Team von Technikern. Es wurde zu einem technischen Hype stilisiert und aufgebauscht, sowohl im Vorfeld als auch in der Diskussion danach. Über die Aufführung wurden nur wenige Worte verloren, der Inhalt, die Ästhetik, das Zusammenspiel. Wie Tim Renner in seinem Statement sagte, sind wir ganz am Anfang und es ist eine Vision. Das erkennt man leicht daran, dass nur über den Stream an sich, über die Technik und die Möglichkeiten geredet wird, nicht aber über die Inszenierung. Die Frage nach der Inszenierung stellt sich hier insoweit, als das man sich fragen kann: Wie kann man über eine gestreamte Vorstellung berichten oder schreiben? Der Vortragsraum in der Heinrich-Böll Stiftung hatte natürlich nicht das Flair eines Theaterbesuches.

Was kann man jetzt über diese Inszenierung sagen. Im Zusammenhang mit der Veranstaltung bot sich die Inszenierung  an, da sie selber sehr digitalisiert war. Die drei Schauspieler spielten in einer Box, welche mit einer Art Leinwand umspannt war und auf der permanent Text und/oder die Gesichter der Schauspieler projiziert wurden. Nur ganz zum Schluss sah man die realen Körper, als die Leinwand abgerissen wurde. Der Zuschauer in Dortmund hatte also nur den Blick auf die Leinwand. Wir in Berlin hatten einen anderen Blick, da sich noch eine Kamera in der Box befand. Es waren drei Kameras und eine Handkamera, sowie die in der Box dabei. Der Cutter schnitt die Bilder während der Übertragung und wurde so zum Regisseur des Streams. Die Ebenen überlagern sich. Im Moment des Streams ist der Regisseur also nur noch teilweise Regisseur seines eigenen Stückes, da er die Kontrolle des was-gesehen-wird in die Hände des Technikteams gibt. Unser Blick wurde kontrolliert, die Zuschauer in Dortmund hatten einen Panorama-Blick im Gegensatz zu uns. Ich traue mich gar nicht das Stück zu kritisieren, da ich die ganze Zeit das Gefühl habe, ich habe nicht alles gesehen und kann keine objektive Meinung dazu abgeben. Die Schauspieler waren grandios. Trotz der Leinwand zwischen uns habe ich sie gespürt, doch der Live-Moment hat gefehlt und vor allem bei so einem Text und so einer großartigen schauspielerischen Leistung ist er unersetzlich.

Es ist eben kein Kino und es ist auch keine Kinoästhetik. Im Nachhinein wurde oft gesagt, dass man lieber in Dortmund gesessen hätte. Im Hintergrund der Box waren vier oder fünf Gestalten hinter ihren Laptops, die die Technik der Leinwand, in Dortmund, betreut haben. Sie waren die Doktoren und die Schauspieler die Patienten. Eingeschlossen in einer digitalen Welt und auf dem Weg ihren Verstand zu verlieren. Der Text als eine Aneinanderreihung von Monologen und Dialogen. Es gibt keine kontinuierlichen Handlungsverlauf, sondern nur das Immerselbe. Der Sound ist laut, die Schauspieler schreien, winseln und zerstören sich selbst. Das innere der Box ist zum Schluss ein Schlachtfeld und die Schauspieler auch. Wenn die Kamera frontal auf die Box gerichtet wird und man keinen Rahmungen mehr erkennt, dann ist es als säße man in einem Kino mit unbequemen Sesseln wo das Popcorn fehlt. Zum Schluss reißen die Schauspieler die Box ein und steigen hinaus. Wir bekommen durch die Kamera noch einen kleinen Einblick in den Backstagebereich.

Danach die Diskussion oder vielmehr das vortragen von Statements unterschiedlicher Menschen. Verschiedene Experten trugen ihre Ansichten vor. Zur Diskussion blieb dann keine Zeit mehr. Alle beteiligten waren fast durchweg positiv eingestellt, nur ein Publikumsbeitrag am Schluss kippte die Stimmung dann doch ein bisschen. Geraldine de Bastion, die Kuratorin eines großen Netzwerktreffens, machte auf die Vorteile des Livestreams aufmerksam. Zum einen können Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen die Streams sehen und Menschen aus Regionen die diese nicht verlassen können aus unterschiedlichen Gründen würde ein Zugang geschaffen werden. Diese Gründe sind alle richtig und nachvollziehbar aber ist unser Theater so international wie das London National Theatre? Daniel Hengst, der Videokünstler aus Dortmund, sagte etwas sehr Schönes: Wir müssen das Video und/oder den Livestream als etwas betrachten, was in der Inszenierung mitgedacht ist und seinen eigenen Platz hat und nicht als etwas was hinten dran gehängt wird. Der Livestream als neue künstlerische Herausforderung und als neues ästhetisches Medium kann durchaus funktionieren. Mehr Menschen das Theater zugänglich zu machen, sollte immer ein Bestreben sein: Warum also nicht mit Livestream? Dass das nicht ein allgemeingültiges Rezept werden kann ist logisch aber den Livestream als etwas Künstlerisches zu betrachten, als Teil der Inszenierung, ist ein guter Ansatz. Meine ganz persönliche Meinung ist, dass im Livestream ein gutes Potential liegt. Man könnte es wunderbar für Schulen einsetzen, die sich nicht leisten können ins Theater zu fahren, anstatt dem gemütlichen Filmeabend auf der Couch kann man einen Theaterabend machen, und für die Theaterwissenschaft beispielsweise und Tausende von Studenten würde es vieles vereinfachen. Dass ein Stream niemals das reale Theatererlebnis ersetzen kann, darin sind sich alle einig. Ich sehe es als eine Möglichkeit, das Theater weiter hinaus zu tragen und denke dass von einer Ko-Existenz beide Seiten profitieren würden.

Die Veranstaltung fand statt in Kooperation zwischen dem Schauspiel Dortmund, der Heinrich-Böll-Stiftung, dem Thalia Theater und nachtkritik.de

Der Artikel wurde am 12.12.2014 auf livekritik.de veröffentlicht. www.livekritik.de

Am 10. Dezember 2014 übertrug das Schauspiel Dortmund gemeinsam mit der Heinrich-Böll-Stiftung Berlin die Vorstellung von Sarah Kanes „4.48 Psychose“ in der Regie von Intendant Kay Voges per Live-Stream in die Stiftungsräume in Berlin, wo im Anschluss eine Diskussion zum Thema „Schauspiel im Stream – Fluch oder Segen?“ stattfand. Auch Livekritikerin Marie Golüke hat sich den Stream angesehen. (Anm. d. Redaktion)

Neue Journalisten für THEATER TO GO gesucht!

Seit 2011 gibt es den Studentenblog THEATER TO GO aus München!
Ab sofort suchen wir neue Kritiker, Journalisten, Studenten, Kulturinteressierte, die für den Blog schreiben möchten.
Wir arbeiten mit vielen kleinen Theatern in München zusammen u.a.
Teamtheater Tankstelle, i-camp, Rationaltheater, Haus der kleinen Künste, theater…. Und so fort, Pasinger Fabrik etc.
Wir haben auch Partner in Berlin und Hamburg, Landshut und Augsburg.
Neue Kooperationen sind ebenfalls möglich, falls ihr Vorschläge oder Ideen habt.
Du kannst dem Blog deine eigene Note geben, durch deinen eigenen Schreibstil und deinen persönlichen Geschmack. Jeder ist eingeladen sich auszuprobieren und zu schreiben was er denkt.
Wenn ihr Interesse habt, schickt uns eine Mail und ein paar Sätze zu euch!
theatertogo@gmx.de

Blog: http://www.theatertogo.wordpress.com
Facebook: https://www.facebook.com/theatertogo

Internationales Sommerfestival auf Kampnagel!

Drei Wochen findet das Internationale Sommerfestival auf Kampnagel statt! Neben Performance, Konzerten und Konferenzen kann man hier den AVANT-Garden nur sehr empfehlen. Ein bunter Festivalgarten in buntem Licht getaucht. Mittendrin eine kleine Rote Flora (Kanalspielhaus) in der abends ein DJ auflegt und eine Bar  zu finden ist. Es gibt Burger und Würstchen und eine pinke Riesenschaukel.

Meinen Auftakt beim Sommerfestival hatte ich mit der Senegalesischen Band Jeri Jeri um Berliner Techno-Pionier Mark Ernestus.  Der Club war gefüllt und das Konzert wurde eine Mischung aus afrikanischen Rhythmen und Tänzen, Trommeln, Gesang und lateinamerikanischen Einflüssen. das Publikum, am Anfang noch sehr zurückhaltend wurde irgendwann von der Musik mitgezogen und tanzte zum Schluss mit der Band auf der Bühne. Wie ein Ritual steigerte sich dieser Abend und die Musik zog einen mit. Der Gesang tat sein eigenes um zum Trancehaften Rhythmus beizutragen und man konnte sich so wunderbar darin fallen lassen. Die Krönung bildete eine Tänzerin, die das Publikum aufheizte und deren Bewegungen eine Mischung aus verschiedenen Tanzstilen waren. Danach brauchte man erst mal ein paar Minuten um wieder zu merken, dass man in Hamburg ist.

An einem Sonntagmorgen ging ich zur Abschlussdiskussion der Konferenz FANTASIES THAT MATTER.IMAGES OF SEXWORK IN MEDIA AND ART. Eine Konferenz mit der Künstlerin und ehemaligen US-Pornodarstellerin Anni Sprinkle. Da ich die beiden vorherigen Tage nicht in Hamburg war, konnte ich mir nur den Abschluss der Konferenz anschauen. Gleich zu Beginn beschwerten sich die Sex-Workers aus den USA, dass zur Konferenz keine ansässigen Sex-Worker aus Hamburg dabei waren. Der Hauptgrund war auch, dass die Konferenz auf Englisch gehalten wurde und die wenigstens der Sex-Worker in Hamburg Englisch sprechen. Die Diskussion drehte sich um Sex-Worker und Kunst. Warum Prostituierte häufig zu Künstlern werden? Weil sie sich hier ausdrücken können, hier werden sie gehört und man interessiert sich für ihre Anliegen. Würden sie einfach zu einem Politiker gehen wollen, wäre Ihnen der Weg versperrt. Eine Interessante Diskussion mit vielen Zwischenkommentaren von Sex-Workern. Das Einzige Merkwürdige: Es durften nur Sex-Worker etwas sagen, wir anderen wurden als bloße Zuschauer aus der Diskussion ausgeklammert. Da stellt sich die Fragen WARUM? Wäre eine Diskussion in der alle etwas sagen dürften nicht viel interessanter? So waren es ergreifende Thesen, Argumente und spannende Fakten der Sex-Worker, aber eine Diskussion war das leider nicht.

Mein persönliches Highlight war Situation Rooms von Rimini Protokoll. Schon oft hatte ich über sie gelesen, Videos geschaut und über ihre Arbeiten recherchiert, aber noch nie hatte ich sie live erlebt. Der Ausgangspunkt für dieses Multi-Player-Video-Stück war ein Foto, welches 2011 um die Welt ging. Es zeigt 13 Personen die im Weißen Haus dabei zuschauen, wie auf dem Bildschirm vor Ihnen die Jagd nach Osama Bin Laden beendet und er exekutiert wird. Dieses Foto regte die Gruppe dazu an, sich mit dem Thema Waffenhandel und dessen Auswirkungen zu beschäftigen. Rimini Protokoll arbeiten dokumentarisch und tauchen in dieser Performance nicht persönlich auf. Sie versammeln „Experten des Alltags“ und versuchen somit dem System auf die Schliche zu kommen. Im Konkreten heißt das, dass in der Vorhalle bei Kampnagel ein riesen Raum gebaut wurde. Mehrere Zimmer und Situationen befinden sich darin. Der Zuschauer wird zum Akteur und bekommt einen I-pad mit Kopfhörer in die Hand gedrückt, stellt sich vor eine Tür und sobald die Hand auf dem Bildschirm die Tür aufmachst, machst du sie auch auf. Dann der Name eines Kartellanführers auf dem Bildschirm. Er ist der Boss eines Drogenimperiums und erzählt seine Geschichte, wie er durch Waffengewalt alle seine Leute verlor. Teilweise griff er selbst  zur Waffe, teilweise waren es andere. Man ist in dem exakt gleichen Raum wie er auf dem Bildschirm gezeigt wird. Ich befinde mich in einem kleinen Raum aus Stein an deren Wände die Totendaten der Personen angeschlagen sind. Dann geht es weiter. In den nächsten Raum. Im Laufe der 90 Minuten, lerne ich den Chef der Deutschen Bank kennen, die mit unserem Geld den Waffenhandel unterstützen. Lerne Aktivisten kennen, die alles daran setzten das Deutschland nicht mehr der drittgrößte Waffenlieferant in die Welt ist. Verfolge das Schicksal eines Syriers, der nach einem Angriff behindert ist und nun in Libyen leben muss und sich das Schicksal seiner Freunde auf Facebook ansieht, und reise mit einem Deutschen Arzt im Auftrag von Ärzte ohne Grenzen nach Afrika. In einem stickigen weißen Sanitätszelt bin ich erst Arzt, dann Patient. Im Schrank findet man Bilder von Menschen deren Oberlippe von Bomben abgerissen wurde. Er hat sie wieder angenäht. Als Patient habe ich eine Schusswunde im Bein und bekomme eine gelben Punkt auf die Hand geklebt. Die Schusswunde ist nicht akut und ich muss warten. Auf der anderen Seite sitze ich in Konferenzsälen und beschließe die nächste Waffenlieferung und betreibe Waffenhandel. Auf der Saudi-arabischen Messe für Waffenhandel finde ich heraus, dass Deutschland seine Finger überall drin hat. Unsere Kameras sind an Drohnen montiert, Waffen sind aus Deutscher Herstellung. Es gibt sogar einen Waffenkatalog. Man kann hier Problemlos alles bestellen. Fast als letztes sitze ich in Indien in einem Raum und bediene den Schaltknüppel für eine Drohne. Es werden Terroristen in den Bergen gesucht. Und die Stimme in meinem Ohr „Es ist so einfach. Man drückt einfach auf den Knopf und das Haus wird bombardiert. Und danach geht man Kaffee trinken.“ Es ist erschütternd, dass wir Menschen gleichzeitig und zerstören und uns helfen. Der ewige Kampf ums Überleben hat ihm 21. Jahrhundert völlig neue Formen angenommen. Und die Erkenntnis nach dieser Rundgang: Man ist beteiligt. Ob man will oder nicht. Allein damit, dass wir unser Geld bei Banken anlegen, die unser Geld benutzen um es in der Rüstungsindustrie anzulegen. Und wir müssen unser Geld auf ein Konto packen, sonst bekommen wir keine Arbeit, keine Wohnung etc. Nach Amerika und Russland sind wir der 3.! größter Waffenlieferant. Heißt das unsere gesamte Wirtschaft würde zusammenbrechen, wenn wir keine Waffen mehr ins Ausland exportieren und herstellen? Fakt: Es gibt nur wenige kleine Banken, die unser Geld nicht in die Rüstungsindustrie oder die Forschung und Entwicklung für Waffen stecken. Wie kann es sein, dass ein Land so etwas tut und im gleichen Atemzug Massen an Flüchtlingen aufnimmt. Ist alles einzig ein System der Macht und des Geldes? Und die Humanität ist nur geheuchelt?

Wer immer die Möglichkeit hat, bei diesem Rundgang mit dabei zu sein sollte es tun! Ein wichtiger Beitrag und eine neue Offenlegung von Prozessen, was uns bzw. mir vorher nicht bewusst war. Von Mitte Dezember bis Anfang Januar gastiert die Arbeit in Berlin.

Als die Newcomer in der Tanzszene gehandelt waren die ehemaligen Studenten der Amsterdamer School for New Dance Development mit ihrem neuen Stück Wellness zu Gast.  Florentina Holzinger & Vincent Riebeek plus Ensemble zeigten den Abschluss einer Trilogie, die sich um Themen wie Popkultur, Schöhnheitswahn etc. drehten. Zu Beginn eine Gruppenchoreographie waren alle in schrillen, glänzenden Kostümen wie aus Sportvideos der 80er, in der Hand hielten sie Modezeitungen, grell geschminkte Gesichter erinnerten auch der Tanz an eine Aerobic Stunde oder Yoga/Pilates. In der Mitte eine Frau mit Megabrüsten, die auf einem Teppich voller Scherben liegt. Sie wird später in dem bösen Spiel die, die alle antreibt, die wertet, die urteilt, die herausfordert und die, die immer die anderen schwitzen lässt. Man stellt sie auf und sie muss über die Scherben gehen. Dabei schaut sie souverän, lässt sich die Schmerzen nicht anmerken. Ein Sinnbild für den Schmerz, den wir uns freiwillig antun um Schön zu sein, Anerkennung zu bekommen, ein Guru zu werden. Sie ist der Guru in dieser Performance. Soweit zum ersten Bild. Der Körperkult geht weiter. Das zweite Bild zeigt eine orgiastische Sexszene. Lauter Electrosound, Discolicht von hinten und Nebel, sodass nur noch die Umrisse der Körper zu sehen sind. Es ist wunderbar orgiastisch, verschwenderisch und zerstörend. Man kann hier eine Kritik am Körperkult unserer Zeit sehen, die diese ganze Arbeit auf jeden Fall ist, aber man kann diese bestimmte Sequenz auch als Aufforderung verstehen, sich dem Leben mehr hinzugeben. Im dritten Bild geht es dann zur Arbeit an der Seele und der Überwindung von Scham. Erst wälzen sie sich in Sand und dann soll jeder vorsingen. Es wird ermutigt und gleichzeitig gedemütigt. Der unerbittliche Guru hat sich in die erste Reihe gesetzt. Ein Zuschauer musste weichen. Der Kreis schließt sich mit der Anfangschoreographie. Tosender Applaus. Was für eine Tanzperformance. Sie haut einen voll weg. Und die Frage am Schluss: Tun wir uns das alles wirklich freiwillig an? Und warum? Warum biegen wir unseren Körper und unseren Geist so sehr, gestalten ihn um und formen ihn? Nichts gegen Sport und psychische Beratung, wenn man sie nötig hat, aber wir stutzen uns zu Recht und vergessen dabei wer wir sind. Aber wer sind wir eigentlich? Diese Inszenierung zeigt auf jeden Fall die unerbittliche Suche nach unserem wahren Ich, so wie wir es gerne hätten.

Als Abschluss des Sommerfestivals ging ich zu KID KOALA und seinem Stück: Nufonia Must Fall, obwohl Stück hier das falsche Wort ist. Kid Koala ist ein Tunrntablist und Nufonia Must Fall ist eine Graphic Novel, die er veröffentlicht hat. Beides mixt er zusammen und heraus kommt eine an dem Abend abgefilmte, inszenierte Graphic Novel mit Live-Musik. Die Hauptprotagonisten waren kleinen Figuren, ähnlich wie in einem Puppentheater. Eigentlich ist es eine neue und Moderne Form des alten, guten Puppentheaters. Sozusagen eine Weiterentwicklung der Augsburger Puppenkiste, nur das hier die Puppenspieler nicht von oben die Marionetten zum Leben erwecken, sondern von unten. Es waren vier kleine Filmsets aufgebaut und die Spieler saßen unten den Filmsets, die Figuren an mehreren Stäben und los ging die Geschichte. Eine Kamera übertrug die Aufnahmen auf eine große Leinwand die von der Decke hing. Es war faszinierend. Man sah gleichzeitig wie der Film gemacht wurde und konnte das Ergebnis im selben Moment auf der Leinwand sehen. Mit viel Liebe zum Detail waren die kleinen Filmsets ausgestattet und die Spieler agierten fast Wortlos, sodass den Protagonisten des Abends alle Aufmerksamkeit geschenkt werden konnte. Die Story ist schnell erzählt. In einer Welt in der Roboter und Menschen Seite an Seite leben, wird ein kleiner Roboter gefeuert und durch einen besseren mit acht Armen ersetzt. Kurz zuvor hat er eine wunderschöne Frau im Fahrstuhl kennen gelernt und sich in sie verliebt. Als er gefeuert wurde fängt er in einem Burger-Laden an, aber auch da wird er durch den 8-Armigen Roboter ersetzt, da der nun mal schneller ist. Zwischendurch war die Frau da und er hat ihr mit Liebe ein kleines Sandwich zubereitet. Der 8-Armige Roboter ist zwar schnell, aber es steckt eben keine Liebe in den Dingen die er tut. Der kleine Roboter schreibt einen Love-Song für die Frau und als er vor dem Burger-Laden steht und es ihr durch die Scheibe vorsingt, wird er von einem Auto angefahren. Sie kümmert sich rührend um ihn und schon bald werden sie ein Liebespaar und wollen in die Ferien fliegen. Doch dann entdeckt der kleine Roboter, dass die Frau eine Wissenschaftlerin ist die den 8-Armigen Roboter gebaut hat, der ihm alle Jobs gekostet hat. Er flieht. Natürlich gibt es ein Happy End und sie versöhnen sich am Flughafen. Eine rührende kleine Geschichte. Die „Filmmusik“ wurde die ganze Zeit von einem Orchester live gespielt, welches mit auf der Bühne saß und Kid Koala machte die übrigen Geräusche. Für manche war die Geschichte zu kitschig, ich fand es eine gute Abwechslung zu dem “ ganzen krassen Zeug“ was sonst noch so auf dem Festival zu sehen war.

Abends ging es dann immer in den Festival-Garten und/oder ins Kanalspielhaus. Hier traten Bands auf und man konnte wunderbar den Tag ausklingen lassen. Im Garten gab es eine kleine Installation und die Volkstanz Heute-Gruppe zeigte ihre Arbeit, welche jedoch kaum Beachtung fand. Auch ich schaute nicht hin, da ich dieses Projekt von Kampnagel nicht sonderlich spannend finde. Traditioneller Volkstanz soll hier neue Beachtung finden. An sich gut, doch irgendwie hat es an diesem Abend keinen interessiert. Trotzdem konnte man sich in diesem Garten Stunden aufhalten. Alles in allem ein sehr schönes internationales Sommerfestival 2014!

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Tanzplattform 2014

Kampnagel

KLICK

Tanzplattform 2014 in Hamburg! Schon vor zwei Jahren in Dresden, konnte ich die Tanzplattform miterleben. Anders als in Dresden war hier alles auf einem Gelände, sodass man nicht hin und herfahren muss. Ein ehemaliges Industriegelände mit insgesamt sechs großen Hallen dienten als Veranstaltungsort für die Tanzplattform.

The Forsythe Company: Sider

Mein erstes Stück, gleich einer der großen Namen auf der Tanzplattform. William Forsythe mit seiner Company und dem Stück Sider. Der Kontext soll eine Tragödie aus dem 16. Jahrhundert sein, die in Bewegung übersetzt und mit Sprachmustern aus der Tragödie vermischt wird. Leider habe ich davon nicht sehr viel mitbekommen. Da ich ganz oben saß, konnte man die Worte auf der Tafel nur erahnen bzw. nur die Hälfte sehen. Ich kann mich noch an „is and isn`t“ erinnern, so waren alle Wortpaare aufgebaut. Ein Spiel mit dem Gegensatz. Die Tänzer waren teilweise von Kopf bis Fuß in bunten Klamotten eingehüllt, einige hatten elisabethanische Kragen um. Zwei Tänzer rezitierten die Tragödie in einem Englisch aus dem 16. Jahrhundert, sodass man leider nichts verstand. Forsythe verwendete große Pappen, mit denen immer wieder neue Gebilde gebaut und Geräusche erzeugt wurden.  Ein spannender Ansatz, der für mich leider nicht ganz aufging.

Richard Sigal: Black Swan

Eine riesen Leinwand im Halbkreis aufgebaut nimmt die ganze Bühne ein. Es ist dunkel und Richard Sigal kommt mit schwarz geschminktem Gesicht auf die Bühne. Hauptprotagonist sind Gedichte, die auf die Leinwand projiziert werden und im Lesen entstehen. Eine Stimme, verzerrt spricht die Wörter manchmal im Voraus, manchmal im Nachhinein. Eine Wortkomposition im Augenblick entsteht hier, während Sigal ganz klein und fast nicht sichtbar, wegen der Dunkelheit dazu tanzt und die Gedichte teilweise mitspricht. Teilweise werden die Gedichte ins Deutsche übersetzt, teilweise nicht. Die Stimmung ist jedoch von Anfang an klar. Düster aber nicht depressiv. Es hat etwas Suchendes und man wird mitgerissen mit der Flut an Worten, die über einen kommt. Eine wunderbare intermediale Inszenierung in der Sigal die Kraft des Wortes betont und sich selber damit in den Schatten stellt.

Isabelle Schad und Laurent Goldring: Der Bau

Kafkas unvollendete Erzählung dient hier als Inspiration für das Stück von Isabelle Schad und Laurent Goldring. Nackt kommt sie auf die Bühne, sie bewegt ihren Rücken und man sieht die einzelnen Muskeln und Knochen. Die Tiermetapher von Kafka wird hier in einer langsamen Verwandlung der Tanzenden zum Stoffknäul präsentiert. Innerhalb von 50 Minuten ist der menschliche Körper verschwunden und ein Knäul aus Stoffbahnen rollt über die Bühne, welches sich in der Bewegung immer wieder neu formt. Der Sound des Körpers und der Bewegung wird im Moment aufgefangen und wiedergegeben, jedoch fragt man sich wie das technisch gelöst wurde, da Schad keine Mikrophone am Körper tragen konnte. Ein bisschen lange dauerte das  finden der fünf oder sechs Stoffbahnen. Irgendwann kannte man eben den Ablauf und die Bewegungen. Erst im zweiten Teil, wurde das Stück wieder spannender. Der Stoffknäul formte immer wieder neue Tiere in seiner Bewegung. Für mich zumindest.

Swoosh Lieu: The Factory. Eine Besetzungsprobe

Absolventinnen der Angewandten Theaterwissenschaft Gießen zeigten hier eine Installation/Besetzungsprobe zu den Produktionsbedingungen von Künstlern. Wir waren in einer fortwährenden Probe und die Akteure fast nicht sichtbar. Eine Choreographie aus Maschinen, Bannern und Schriften stützte auf uns ein. Eine interessante Mischung. Wer bekommt die Produktionsmittel? Von wem werden sie Verteilt? Eine Auflistung aller Dinge, die für diese Produktion gebraucht werden. Und dann? Dann ist die Show zu Ende. Es werden Probleme aufgedeckt, die aber nicht weiter erforscht werden. Es werden Sachen an die Banner geschrieben, die jeder weiß aber nicht weitergedacht wurden. Schade, mich hätten die Lösungsansätze interessiert.  Eine Installation die zur Diskussion anregt: Hat leider nicht geklappt.

Zufit Simon: I like to move it

Zuifit Simon war eine der NEUEN auf der Tanzplattform. Eine Tänzerin betritt die Bühne und macht verschiedene Bewegungen ohne Musik. Es sind Bewegungen, wie man sie in den Clubs sieht oder bei den Background-Tänzerinnen der Superstars oder Rockkonzerten. Schwarze Lederhose, viel Schmuck und hohe Schuhe. Eine Lichtshow wie bei einem Konzert. Nur die Musik fehlt. Nach einer Weile holt sie sich einen Lausprecher und tanzt mit ihm. Sie legt sich auf ihn und je nach Bewegung kommen Geräusche aus den Lautsprechern. Sie komponiert sozusagen mit ihren Bewegungen. Eine Bewegungskomposition. Zwei weitere Tänzerinnen kommen dazu und die Komposition setzt sich fort. Das ist im Weitesten alles, was passiert. Es werden unterschiedliche Variationen ausgetestet: Boxen an den Füßen, herumwirbeln von Mikrofonen, verschiedenen Tanzschritte. Alles in einer einstudierten Choreographie, wie bei Backgroundtänzerinnen die bei THE DOME auftreten. Ohne Musik wirkt die Choreographie lächerliche und absurd. Für mich wurde hier der Tanz in der Musikbranche zitiert, vorgeführt und kritisiert, welches sehr spannend zu beobachten war. Mehr habe ich aber nicht mitnehmen können. Zwar wurden immer wieder neue Variationen ausgetestet, aber im Grunde war es immer dasselbe. Es gab keine Entwicklung, keine Spannung. Nach dem ersten WOW-Effekt wurde es langweilig.

VA Wölfl: Chor(e)ographie/Journalismus (Kurze Stücke)

Zu Beginn stellt sich Amelie Deuflhard auf die Bühne und erklärt, dass VA Wölfl nicht die gesamte Choreographie zeigen kann, da Kampnagel ihm nicht die gewünschten drei sondern nur zwei Tage zur Vorbereitung geben konnte. VA Wölfl komponiert das Stück mit seinen Tänzern in dem Moment bzw. er reagiert im Stück auf das Stück und die Zuschauer. Es ist keine feststehende Choreographie. Tänzer kommen mit Glitzerkostümen auf die Bühne und tragen ein Gewehr. Danach bleibt eine in der Mitte stehen und bewegt sich so langsam, dass man es mit dem bloßen Auge fast nicht sieht. Dazu eine Projektion und die Laute von Fußballfans in einem Stadion. Man kann sich ganz reinfallen lassen in dieses Bild. Dann ist es abrupt vorbei. das Licht geht wieder an. Keiner weiß was. Zuschauer sind verwirrt. Die ersten Leute gehen. Nach ein paar Minuten geht es weiter. Ein Sänger fängt im Publikum an zu singen. Gitarrenklänge auf der Bühne. Wieder ist alles vorbei. Zuschauer sind noch verwirrter. Manche beschweren sich, dafür ihr Geld ausgegeben zu haben, bleiben aber sitzen, andere Gehen. Einer schmeißt beim Gehen wütend Tennisbälle auf die Bühne, die vorher dort ausgeschüttet wurden. Wieder ein anderer schreit, es solle doch mal weitergehen. Großartig wie VA Wölfl mit dem Publikum spielt und es verarscht, auch wenn hier viel schief gegangen ist und der Auftritt eigentlich abgesagt werden sollte. Die Masse Zuschauer bewegt sich und ist nicht mehr nur stummer Konsument.

Antonia Beahr: Abecendarium Bestiarium

Mein absoluter Favorit dieser Tanzplattform! Am Sonntag konnte ich noch in die Vorstellung reinrutschen auch ohne Karte. Ich liebe sie. Beahr bat 13 Künstlerfreunde, dass sie Kurzgeschichten über ausgestorbene Tiere schrieben, die etwas mit ihnen selber zu tun haben. Charakterlich oder Namentlich. Hier wurden sieben dieser kurzen Stücke gezeigt. Jedes wurde einem Buchstaben im Alphabet zugeordnet. T wie der Tasmanische Tiger oder S wie die Stellersche Seekuh. Es war grandios. Eine Mischung aus Theater, Performance und Klangkunst zeigte sich hier, sowie die Wandelbarkeit der Antonia Beahr. Das Verhalten zwischen Mensch und Tier wurde sichtbar und wer zum Schluss als Sieger hervorgegangen ist. Eine lustige und zugleich traurige Performance. Die Zuschauer mussten zu den jeweiligen Orten mitgehen im Raum. Es war sehr eng und klein. Mit einer Herzlichkeit und Wärme leitete Beahr ihre Zuschauer an und sie hatte sie binnen ein paar Minuten um den Finger gewickelt. Schon bei FOUR FACES in Dresden fand ich sie großartig. Ich ging sehr gerührt aus dieser Vorstellung heraus. Großartig!

Tino Sehgal: [Ohne Titel][2000]

Drei Tänzer tanzen das Stück von Tino Segal, welches er vor 13 Jahren noch selber tanzte. Jeder in seiner eigenen Version. Ich schaute mir zwei an: Frank Willens und Boris Charmatz.

Frank Willens tanze im Foyer nackt auf einem harten Steinboden. Das Stück besteht aus Zitate von Choreographen. Ich entdeckte Tanzschritte aus Pinas Sacre. Das Foyer war voll und die Leute drängten sich um ihn. Man konnte seinen Schweiß sehen und manchen kam er so nah, dass sie seinen Atem spüren konnten. Es war fantastisch. Ein fantastischer Tänzer, der hier mit dem Publikum spielt. Alle wollten es sehen, doch kam er dem Zuschauer zu nah, rückten sie nach hinten, voller Angst berührt werden zu können. Sein Glied tanzte mit und eine Frau bekam es auch fast ins Gesicht. Er hielt es ihr sozusagen vor, wie später auch Boris Charmatz. Es war eine Provokation, auf die man sich einlassen konnte oder eben nicht. Ich fand es extrem spannend, wie das Publikum reagierte. Ich hatte aber auch noch nie so einen schönen nackten Mann gesehen, der in seiner Nacktheit und im Tanz immer noch so männlich war, obwohl er  auch Elemente aus dem klassischen Ballett tanzte. Es war faszinierend. 50 Minuten ging das Stück und wurde dadurch aufgelockert, dass er mit uns redete. Er hatte nicht sehr viel Platz aber er war wie ein Tier. Eine völlig andere Bühnensituation hatte Boris Charmatz. Er bekam die größte der Kampnagelbühnen. Zuschauer und Tänzer waren klar voneinander getrennt und er hatte viel mehr Raum für seine Bewegungen-  war aber auch nicht so nah am Zuschauer dran. Man erkannte die Stilistischen Unterschiede. Der Tanz im Foyer hat mich mehr beeindruckt, vielleicht weil ich da ganz vorne saß.

Ein aufwändiges Rahmenprogramm begleitet die Tanzplattform. Pitsching, Jurydebatte, Warm-Up. Man konnte gar nicht alles mitnehmen. Jeden Abend lud man zum Clubbing in die KMH. Sport -Spacken- Tanz, eine Uschi Geller Esperience. Sagen wir mal: Naja. Meins war es nicht. Verkleidete Performer machen auf Transe und laufen auf und ab. Es soll darum gehen sich mal gehen zu lassen, mitzumachen, zu trinken und zu rauchen. Es ging aber eher um die Performer, als um uns.

Im Foyer saß das Künstler-Duo aus New York, die mit uns eine Zeittafel konstruierten „The bureau for the future of choreography“. Ein Kamerateam filmte die Leute beim Schreiben.  Man konnte T-Shirts für 87 Cent kaufen auf denen „Life, Dance, Death“ stand. Ein schönes andenken und eine gelungene Tanzplattform, obwohl ich von Dresden vor zwei Jahren immer noch etwas mehr begeistert bin.

In zwei Jahren findet die nächste Tanzplattform in Frankfurt statt.

Lovers, Authors and other Strangers – Jana Pulkrabek

Monsuntheater

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„Lovers, Authors and Other Strangers/Stories, Szenen und Parodien des Komödianten Woody Allen!“ 

Fünf Schauspieler spielen und lesen verschieden Szenen aus Woody Allens Feder.
Es ist ein schönes Team, jeder der Schauspieler versteht es in die immer wieder unterschiedlichen Rollen zu schlüpfen und so den Abend wunderbar amüsant zu gestalten. Es ist eine große Freude ihnen zuzusehen, mal ganz abgesehen von Woody Allens komödiantischen und doch hoch philosophischen Talent.

Mit wenigen Mitteln erzählen sie die Geschichte, wie das Sandwisch entstand. Danach kann das Publikum die Kreationen aufessen. Eine andere Geschichte handelt von einem Mann in New York, der mithilfe eines Zauberers in den Roman „Madam Bovary“ von Flaubert flüchtet um die wahre Liebe kenne zu lernen. Einmal dem Roman entrissen kommt Madam aber nicht mehr aus London weg und so wird alles zu einem Desaster. „Und die Moral von der Geschicht, betrüge deine Frau nicht!“.
Die Schauspieler fegen über die Bühne und nichts kann sie aufhalten so scheint es, erst wenn du Musik anfängt, präparieren sie sich für die nächste Szene. Auch hat es überhaupt nicht gestört, dass die Schauspieler ihre Textbücher zur Hilfe hatten. Im Gegenteil, so wurde einem umso mehr bewusst, dass es sich um Szenen aus Drehbüchern handelt und es ein Salon über Woody Allen war.

Das einzige was ich hier anzumerken habe ist, dass man leider nicht gesagt bekam aus welchen Filmen diese Szenen stammten. Das hätte mich sehr interessiert. Ansonsten war es ein sehr schöner und unterhaltsamer Abend.

Der Salon ist eine feste Veranstaltung im Monsuntheater mit unterschiedlichen Themen. Am 9.02 geht es um den russischen Komponist Michail Glinka, ein Liederabend. Dies ist bestimmt genauso sehenswert, wie der über Woody Allen.

Am Anfang der letzten Nacht – Nina Pichler

Monsun Theater

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In der neuen Inszenierung von Nino Haratschwili geht es um vier Reisende und den Engel Amor.
Ort: Ein Hotel. Zeit: Drei Nächte.

Ein Arzt-Paar, dass versucht seine Ehe wieder in den Griff zu kriegen. Eine Schauspielerin ohne Engagement und ein Geschäftsmann, der sich von seiner Frau unterbuttern lässt. Es geht um Sehnsüchte, Ängste, Wünsche, Träume und alle vier Personen sind auf die eine oder andere Weise miteinander verbunden. Die Ärztin hat die Zwillingsschwester der Schauspielerin bei einer Operation getötet, die wiederrum musste die Rolle ihrer Schwester einnehmen an der sie zerbrach und in eine Klinik eingewiesen wurde, wo sie den Geschäftsmann getroffen hat. Für das Ärzte-Paar nimmt die Reise kein gutes Ende, für die anderen beiden Protagonisten schon. Mittendrin Amor.

Gespielt wird auf einem Baugerüst, welches die unterschiedlichen Etagen des Hotels darstellt. Ganz oben Amor, Mirko Thiele, mit einer Leidenschaft für Bier. Er versucht mit einem Punkteprogramm den einsamen Geschäftsmann wieder zu einem richtigen Mann zu machen. Mit Witz, Charme und Humor sind Mirko Thiele und Klaus Beyer für mich das beste Spielpaar an diesem Abend. Gekonnt spielen sie mit den Klischees aber lassen sich nicht von ihnen überrennen. Der trocken Humor von Amor und die Submessivität des Geschäftsmannes prallen hier aufeinander. Es ist einfach herrlich mitanzusehen. Schade nur, dass Amor mit keinem der anderen Figuren interagiert.

Das Ärzte-Ehepaar spielt nicht schlecht, vor allem der Herbert Trattnig sticht hier heraus, doch warum muss man immer so schreien? Ich versteh das wirklich nicht. Anja Topf ist der ewige Drache, die leider keine wirkliche Entwicklung im Stück durchmacht. Nur kurz sieht man ihre Angst und Verzweiflung. Ihr Mann versucht sie zu halten, es gelingt ihm nicht. Ich habe hier etwas vermisst, ich kann gar nicht genau sagen was. Vielleicht lag es auch am Text, vielleicht auch nicht. Sowohl die Geschichte, als auch die Schauspieler haben mich hier nicht so richtig überzeugt. Ich denke leise Verzweiflung hätte hier mehr gebracht, als das ständige Anschreien.

Nina Sarita Balthasar spielt Sophie. Die Zwillingsschwester eines aufstrebenden Stars. Als ihre Schwester bei einer OP stirbt soll sie ihren Platz einnehmen und zerbricht daran. Balthasar versucht mit allen Mittel hier die Verzweiflung darzustellen aber auch sie schreit und springt auf der Bühne herum. Sie hat keine Gegenspieler, das ist vielleicht das Problem. Sie kann sich an keinem festhalten, ist auf sich allein gestellt. Sie ist die überdrehte Prinzessin mit den Tabletten. Auch hier fehlt mir etwas: Das wirkliche hineinspüren in die Rolle, in den Charakter. Erst als sie zum Schluss zu einem vermeintlichen Casting geht und sich nicht mehr verkleidet, ist sie wirklich glaubwürdig.

Eine Inszenierung, die stark von dem können der Schauspieler lebt. Die Geschichte ist keine Neue. Alles was hier verhandelt wurde, wurde schon tausendmal woanders verhandelt. Es hat der Funke gefehlt, der Funke bei dem am Ende ein WOW-Effekt entsteht.

Am-Anfang-der-letzten-Nacht

Jedermann – Bastian Kraft

Thalia Theater in der Gausstraße

KlICK

Wieder ein Solostück von Philipp Hochmair in Regie von Bastian Kraft. Diesmal: Jedermann von Hugo von Hofmannsthal. Eine Konzert-Performance soll es sein, die Musik steuert die Amerikanerin Simon Jones bei, die auch mit auf der Bühne steht, singt und musiziert.

Hofmannsthals Dichtung im Thalia Theater, modern inszeniert und neu interpretiert.  Die Frage des Daseins steht hier im Mittelpunkt. Was machst man, wenn man nur noch einen Tag zu leben hat? Was zählt im Leben wirklich? Hofmannsthals Theaterstück handelt von Jedermann, der vom Tod aufgesucht wird. Dieser wiederum wurde von Gott geschickt, weil die Menschen ihn nicht mehr zu schätzen wussten. Jedermann ist ein reicher Bürger, dessen Habgier und Geldsucht ihn dazu führen, dass er von Gott ausgewählt wurde dem Tod entgegenzutreten. Eine Stunde wird ihm vom Tod geschenkt, sich einen Gefährten zu suchen, der ihn auf seine letzte Reise begleiten soll. Er findet keinen und selbst sein Geld will nicht mit ins Grab. Zum Schluss reinigt er seine Seele und darf vor das göttliche Gericht treten.

In Krafts Performance ist Jedermann ein Rockstar, der jedoch die Verssprache von Hofmannsthal behalten hat. Hochmaier spielt hier wieder mehrere Figuren und springt von der Einen zur Nächsten. Im Alleingang erzählt er die Geschichte von Jedermann und verfällt der Verzweiflung immer mehr. Durchaus gekonnt gespielt springt er von einer Bühnenecke zur anderen. Simon Jones begleitet ihn musikalisch aber auch darstellerisch. Ein paar deutsche Sätze kommen aus ihrem Mund, sie ist quasi  eine Nebenfigur im Spiel. Ihre Figur bleibt aber immer etwas unklar. Wenn Hochmaier in langen Monologen verschwindet, steht sie am Rand und tut nichts. Hierbei stellt sich die Frage, ob das gewollt ist oder nicht, wenn ja dann ist es nicht überzeugend genug. In ganzer Linie überzeugt sie aber musikalisch. Ihre Performance ist spektakulär, sie ist hier die richtige Rockerin auf dieser Bühne.

Die Bühne und die Kostüme glitzern um die Wette, Gold und Schwarz herrschen hier vor, und auch die digitalen Texttafeln tauchen hier wieder auf und verraten uns immer, welche Rolle Hochmair gerade spielt. Auch in dieser Inszenierung zeigt sich Krafts Faible für jede Art von Medien. Handkamera und Live-Screen kommen hier zum Dauereinsatz. Die Bühne sieht aus, wie auf einem Rockkonzert und alles ist eine große Show.

Teilweise übertreibt Hochmair hier in seinem Spiel, aber das ist wahrscheinlich Geschmackssache. Vor allem am Anfang sind die Texte von Hochmair nicht sehr verständlich gesprochen. Man kommt kaum hinterher den Inhalt zu verstehen, wenn man das Stück vorher nicht kennt. Nur mit Mühe und Not kann man sich die Geschichte zusammen reimen. Zum Ende hin wird es besser und auch das Spiel ist nicht mehr so übertrieben.

Ein rauschendes Performance-Konzert das musikalisch auf ganzer Linie überzeugt. Spielerisch aber eher Geschmackssache ist und Bühnentechnisch nichts auslässt.

966ea34343(c) Thalia Theater

Der Fremde – Jette Steckel

Thalia Theater Gaußstraße

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Romanadaptionen scheinen an dem Thalia in der Gaußstraße gerade IN zu sein. Dies soll hier keineswegs negativ gemeint sein. Es ist mir nur aufgefallen. Das liegt wahrscheinlich auch daran, dass ich gerade ein Seminar zum Thema Romanadaptionen besuche und sich dafür das Thalia in der Gaußstraße besonders gut eignet.

Heute auf dem Programm also Der Fremde von Alber Camus. Schon der Roman des Literaturnobelpreisträgers  berührte mich in seiner ganzen Absurdität und ich war gespannt, wie die Umsetzung auf der Bühne realisiert werden würde. Im Roman ist alles chronologisch hintereinander erzählt. Erst das Begräbnis der Mutter, auf der  Meursault nicht weinte, dann die Begegnung mit Marie, das Gemeinsame baden, den komischen Film den sie sich ansahen, dann der Nachbar der ihn überredete den Brief an seine „Geliebte “ zu schreiben, die Auseinandersetzung mit ihr, der Tag am Strand, der getötet Araber, die Zeit im Gefängnis und das Verhör, der Morgen der Hinrichtung.

Jette Steckel wirft nun alles durcheinander. Es wird nicht mehr chronologisch erzählt, sondern das Verhör steht im Mittelpunkt. Von dort aus wird vor und zurückgesprungen in der Geschichte. Immer mehr Einzelheiten werden klar. Die Inszenierung ist wie ein Puzzelstück aufgebaut, indem sich nach und nach die passenden Teile zusammenfinden.

Drei Männer und eine Frau. Jeder spielt alles. Klar hat jeder bestimmte Rollen, die nur er spielt. Alle sind jedoch Meursault, Personen aus dem Gericht und Meursaults Freunde. Es vermischt sich und trotzdem ist es immer klar, wer wer ist. Franziska Hartmann ist sowohl die Schwester des toten Arabers, als auch Marie, die Verlobte von Meursault. Die Schauspieler wechseln grandios zwischen den Rollen hin und her und doch sind sie immer nur eine Maske die sie aufsetzen, unter ihnen scheint immer der neutrale Charakter des Schauspielers hervor.  Dies ist keineswegs negativ gemeint, eher positiv: Es kann eben jedem passieren, dass er zum Tode verurteilt wird, weil er auf der Beerdigung seiner Mutter nicht geweint hat.

Die starke körperliche Präsenz aller Schauspieler hat mich beeindruckt. Dies wurde natürlich auch dadurch begünstigt, dass die Bühne eine Runde Drehscheibe war, mit rotem Kies oder Sand ausgelegt. Fast die ganzen anderthalb Stunden drehte sich die Scheibe und der es muss enorme kraftaufwändig sein, das Gleichgewicht zu halten. Wir saßen, wie in einer Arena drum herum. Es erinnerte an einen Gladiatorenwettkampf, nur dass die Menge hier nicht buhlte und begeistert schrie. Eigentlich schade, dass wir es uns abgewöhnt haben im Theater Laute von uns zu geben. Hier hätte es wunderbar gepasst, da wir alle zu Mitspielern, zu Geschworenen gemacht wurden.

Ein weiteres Highlight auch das aufwendige Lichtkonzept. Wenn Meursault und Marie ins Kino gehen, werden wir mit Scheinwerfern angestrahlt und es ist wunderbar hier die Augen zu schließen und die vier Lichtkegel über seine Augen tanzen zu lassen, ähnlich wie ein Leuchtturm es tut, und dann könnte man auch zu Hause sitzen und ein Hörbuch hören.

Die Vielschichtigkeit der Inszenierung hat mich sehr beeindruckt und trotzdem wurde der nüchterne  und klare Charakter Meusaults nie vergessen. Eine wirklich gelungene Romanadaption, die man sich unbedingt anschauen sollte.

Amerika – Bastian Kraft

Thalia Theater Gaußstraße

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Philip Hochmair spielt Karl Roßmann, den Protagonisten aus Kafkas Der Verschollene, hier umbenannt in Amerika.

Am 11. September 2009 hatte das Stück Premiere in der Garage des Thalia in der Gaußstraße. Philipp Hochmair alias Karl Roßmann ist in einem kleinen viereckigen Raum eingesperrt. Man könnte es mit einer Telefonzelle vergleichen. Zwei Wände sind aus Glas, zwei sind Spiegel. In dieser winzigen Fläche agiert Hochmair  eine Stunde und 15 Minuten und muss sowohl den Protagonisten, als auch alle anderen Figuren darstellen. Mit Gestik, Mimik und Stimme versucht er die Unterschiede der Figuren klarzumachen, was auch eigentlich sehr gut gelingt.
Die Darstellung des Robinson durch vorher gedrehte Videos, fand ich besonders passend. Seine Interpretation erinnerte mich an Fear and Laughing in Las Vegas.

Es ist eine große Welt, die sich nur in dieser kleinen Kammer abspielt. Eine bildliche Darstellung von Karls eingeschränktem Denkvermögen? Die Darstellung Karls als naives, kleines, dummes Kind. Karls ist ein Spielball seiner selbst und seiner Umgebung. Er reflektiert  nicht, er überlegt nicht und er hat keine starke Persönlichkeit. Weder zum Millionär, noch zum Gauner geboren. Eine Eigenschaft, die in Amerika nicht besonders viel Erfolg bringt. Diesen unreflektierten 17-Jährigen, zwängt Kraft nun in eine Kammer, in der er sich permanent selbst sehen muss und den anderen Figuren schonungslos ausgesetzt wird.

Kapitel für Kapitel wird hier durchgegangen. Anfänglich wird der Roman noch erzählt, fast wie bei einer Lesung, dann wird es immer spielerischer und dialogischer, bis zum Schluss eine Auseinandersetzung mit dem Publikum stattfindet. Hier tritt Hochmair aus dem Kasten und stellt sich den Zuschauern in Unterhose. Es werden Menschen für das Oklahoma Naturtheater gesucht und nun ist er warm gespielt, nun nimmt er Fahrt auf und findet selbst bei dem Schüler, der nicht weiß was er werden will weil er alles kann, eine passende Bezeichnung für seine Arbeit im Theater. Hochmaier ist zum Moderator einer absurden Show geworden. Am Schluss wird Karl aufgerufen und im Theater willkommen geheißen, dann endet die Inszenierung mit einer schnöden Robbi-Williams-Super-Hero-Pose. Auffallend waren die vielen Wiederholungen einzelner Sätze, die die Situationen noch bekräftigten. „I am Karl Roßman und ich habe mich veirrt“, war einer der häufigsten Sätze, der sich bis zum Schluss durch die Inszenierung zog.  Zudem wurde dadurch die Absurdität der ganzen Lage, und auch der Person Kalr Roßmann, deutlich.  Die Inszenierung verstand es generell sehr gut die Absurdität des Romans darszustellen durch die Mittel die es gebrauchte.

Es ist eine grandiose Leistung vom Schauspieler: Aber ganz sicher, wie ich es finden soll, bin ich nicht. Das Wort „autistischer Mist“ fiel einem Zuschauer aus dem Mund, „grandiose Darbietung“ einem Anderen. Ich würde mich in der Mitte einordnen. Es gab manche Stellen, an denen mich Hochmair gepackt hat aber auch viele Stellen, in denen man wunderbar zum gedanklichen Abgleiten motiviert wurde.

Auch die Handkamera hätte es in vielen Momenten eher nicht gebraucht. Klar sie gibt eine andere Sichtweise auf das Dargestellte von Innen, doch ist dieses Medium nicht etwas ausgelutscht? Die Kamera wird auch nur kategorisch eingesetzt und bald vergessen. Dies hätte man durchaus anders regeln können.

Diese Inszenierung erweckt Zwiespalt, sie teilt das Publikum und wurde zu drei wichtigen Theaterfestivals eingeladen. Etwas Besseres kann es ja eigentlich gar nicht geben.

AMERIKA

Ahnen… – Gabriele Gierz

Sprechwerk Hamburg

13 Männer und Frauen ab einem stolzen Alter von 63 Jahren standen am Samstag als Tänzer und Tänzerinnen auf der Bühne des Hamburger Sprechwerkes.

In der Tanzperformance AHNEN von Gabriele Gierz wird genau dieses Thema verhandelt. Unsere Ahnen. In unserer Kultur nehmen die Ahnen bzw. die Ahnenforschung nicht mehr so eine große Bedeutung ein, mal abgesehen davon wenn es gerade mal wieder hip ist, was eigentlich sehr schade ist.

Behutsam aber auch direkt wird das Thema hier angepackt. Die 13 Tänzer und Tänzerinnen bewegen sich für ihr Alter erstaunlich leichtfüßig über den Boden. Von Solos bis Gruppenchoreographien ist alles dabei. Immer wieder werden Tonspuren eingeblendet in denen die Darstellen ihre Sichtweisen und Erfahrungen erzählen. Teilweise sehr berührend und ehrlich. Der Satz der mir am deutlichsten im Hinterkopf geblieben ist „Vielleicht war es auch gar nicht so gut, dass ich da war“. Eine deutliche Dramaturgie der Tonaufnahmen war zu erkennen. Anfangs erzählen die Darsteller von ihren Ahnen und am Ende kommen sie auf sich selbst als Ahnen zurück. Ein Kreis der sich schließt, wie das Leben.

Einigen Tänzer hat man die Freude im Gesicht angesehen, die sie beim Tanzen hatte, bei anderen war ich mir nicht so sicher, ob sie wussten was sie dort eigentlich machten. Das war das Einzige was mich an dem Abend gestört hat, die Starrheit in manchen Gesichtern der Darsteller.

Während des ganzen Stückes saß eine Darstellerin am Bühnenrand auf einem Stuhl und strickte. Sie war körperlich am eingeschränktesten was die Bewegungen angeht und konnte nicht mittanzen. Am Ende der Inszenierung ging sie in die Mitte der Bühne und schaffte es alleine mit ihrer Ausstrahlung und einer kleinen Choreographie ihrer Hände etwas rüberzubringen, was einem tief berührte. Das war für mich der schönste Moment der Inszenierung.

Lobend zu erwähnen sind hier auch die zwei Musiker, die die ganze Inszenierung teilweise live untermalten. goodcop;goodcop; heißt die Band, die wunderbar mit dem Ensemble harmonierte.

Die Grundaussage dieses Stückes war für mich „Fragt uns! Irgendwann sind wir nicht mehr da und können euch von euren Vorfahren erzählen.“

Ein wunderbarer Abend, nur die Vorrede des Mitarbeiters vom Sprechwerk hätte man sich sparen können.

Erstveröffentlichung auf livekritik.de

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