König Ubu im Stadtbad Steglitz

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„Das Stück spielt in Polen und das heißt nirgendwo“, sagte Alfred Jarry von seinem Stück „König Ubu“, das 1896 uraufgeführt wurde. „Vater Ubu“, Doktor der Pataphysik und dekoriert mit dem Orden des roten Drachens von Polen ist skrupellos, gierig, faul und flucht die ganze Zeit. So muss er denn auch von seiner Frau „Mutter Ubu“ überredet werden den König Venceslas samt Gefolge zu massakrieren, um selbst König von Polen zu werden. Fluchs wird Adel und wer sonst noch Geld hat zur persönlichen Bereicherung des Königs „enthirnt“. „Schoiße!“, freut sich da der König. Während das komisch dadaistische Stück seine Figuren komplett entpsychologisiert und als Schablonen einer Machtparodie anlegt – die Uraufführung fand mit Marionetten statt – stellt das Ensemble  dem (heute) doch etwas spröden Text Realismus und Tempo gegenüber. König Ubu wird hier gar nicht marionettenhaft, als harter alter Mann, großartig von Friedhelm Ptok dargestellt – bis er bricht, die Müdigkeit sichtbar wird hinter der lauten Vulgarität und „Mutter Ubu“ (Jessica Tietsche), inszeniert als aufreizende Geschäftsfrau, sich als die wahre Drahtzieherin entpuppt. Alexander Klages und Yuri Garate, die mit Ernie und Bert Soundtrack, alle anderen Rolle übernehmen, sorgen für Tempo und Eskalation und führen das Publikum durch die Spielstationen im Stadtbad, das sich mit verranztem Industrie-Charme großartig als Endzeitkulisse eignet. Es kommt, wie es kommen muss. Der Verbündete „Bordure“  sorgt mithilfe des russischen Zaren für den Sturz des Tyrannen, Mutter Ubu flieht mit der Staatskasse und und Vater Ubu findet sich im Heizungskeller des Stadtbades wieder: Alt, verbraucht, halluzinierend sieht man hier beeindruckend den Tyrannen zerbrechen und als er wenig später mit Mutter Ubu nach Frankreich flieht, um den nächsten Coup zu planen, weiß man, wer die Fäden zieht.

Darsteller: Friedhelm Ptok, Alexander Klages, Jessica Tietsche, Yuri Garate

Musikalische Leitung: Markus Reschtnefki

Bühnenprojektion/Videokunst: Nurgül Oruc

Kostüm: Martina Baist

Lichtdesign: Matthias Schenk

Regieassistenz: Micky Haque

Supervisor: Alf Dobbert-Baums

Regie: Beatrice Murmann

 

 

Kafka im Theater unterm Dach

Schauspiel/ Musik Iljá Pletner

Regie/Bühne/Filme Ingrun Aran

Kamera Jakobine Motz

Dramaturgie Miriam Sachs

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Ich habe den Bau eingerichtet und er scheint wohlgelungen“. Kafkas Erzählung beschreibt den Kampf eines Wesens gegen eine feindliche Umwelt. Es versucht sich durch das Errichten eines ausgeklügelten Baus zu schützen und verliert sich immer mehr im Abgrund der Paranoia. Zwanghaft beobachtet und perfektioniert es das Labyrinth, bis es schließlich durch ein ominöses Zischen aufgeschreckt wird und keine Ruhe mehr findet. „Das Geräusch scheint stärker geworden, nicht viel stärker natürlich, hier handelt es sich immer nur um feinste Unterschiede, aber ein wenig stärker doch, deutlich dem Ohre erkennbar. Und dieses Stärkerwerden scheint ein Näherkommen, noch viel deutlicher als man das Stärkerwerden hört, sieht man förmlich den Schritt, mit dem es näher kommt“.

Die Bühne, der Raum ist durch eine kleine Leinwand vor der größeren geteilt; ein weißes Quadrat bildet die Hauptspielfläche für den einsamen Protagonisten (Iljá Pletner). Es ist ein medialer Abend.

Ingrun Aran hält sich in Ihrer Inszenierung nah an den Text, der Abgrund wird mit Projektionen bebildert, mit Musik unterlegt und gerappt. Bilder von konservierten Skeletten rufen Erinnerungen an „Körperwelten“ wach, System-Steuerungsanalagen werden gezeigt und Augen, immer wieder Augen. Das manisch Getriebene des Wesens erzählt sich sehr schön in Pletners repetitivem Gesten-Repertoir und der Zuschauer wird in den Sog aus Kafkas Worten gezogen, in den kaputten Algorithmus, der sich ständig wiederholt. Überlebensgroß sehen wir die dreckverkrusteten Finger des Wesens, das sich die Nägel rot lackiert und den Mund grell bemalt. Denn da ist natürlich auch die Notwendigkeit, die Masturbation im Horror. Was wenn der Bau einmal sicher ist? „Aber nichts dergleichen geschah“.

Manchmal gerät die Inszenierung ein wenig plakativ , so wenn auf dem übergroßen Styropor-Pad mit großen Gesten theatral herumgetippt wird und auch die Rap-Einlage wäre nicht nötig gewesen.

Für mich entstanden die eindrucksvollsten Momente genau dann, wenn die Inszenierung Pletner vertraut und den Zuschauer allein lässt. Mit Kafkas Worten und der ungeheuren Anspannung, die Pletner aus sich selbst spielt – wo er das hernimmt, will man gar nicht so genau wissen.

Faust in uns. Ein Theaterexperiment in Zittau

Regie: Andreas Neu

Schauspiel: Marie Golüke, Susanne Heubaum, Martin Langenbeck, Kathleen Prescher, Karl-Heinz Reiche, Armin Rößler

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Faust hab ich gelesen, das ist aber lange her. Ohne Wikipedia oder mein Bücherregal zu bemühen, haftet an den Rändern meiner Erinnerung nur noch grob die Geschichte eines Mannes in der Midlife-Crisis, der umsonst versucht, der Welt wissenschaftlich zu Leibe zu rücken, mangels eines Sportwagens den Teufel angeht, diesem seine Seele verkauft und ziemlich rücksichtslos mit einem jungen Mädchen umspringt, das irgendwann einfach nicht mehr auftaucht und sich in der letzten Szene doch noch von Gott retten lassen darf. Sonst erinnere ich mich noch an meine Ehrfurcht gegenüber Goethes Sprachgewalt und daran, dass ich dachte: Jemand der so mit seinen Hauptfiguren umspringt, kann kein guter Mensch sein. Faust 2? Sei`s drum. Irgendein wirrer Traum, in dem Faust Helena vögelt. Selbstverständlich werde ich dem Faust damit nicht gerecht, aber leider bevorzuge ich damals wie heute andere Literatur.

Nun also Faust in Zittau. Ein Experiment. Allmählich bin ich der Experimente ein wenig müde, aber als sich der Saal als ehemaliger Vorlesungsraum für Elektrotechnik entpuppt, freue ich mich doch. Klotzig stehen die alten Generatoren im Raum und wenn das Licht ausgeht und die roten Lämpchen aufblinken, wird die Bühne zum futuristischen Friedhof und die Grablichter flackern.

Faust in uns. Ich in Zittau. Faust als Manager.Thema: Die moderne hastende Existenz, der die Leere auf dem Fuße folgt, wenn sich die Angst zum Rendezvous mit der Langeweile trifft.

Die Firma ist pleite, der Chef verkriecht sich auf dem Grabsteingenerator, das Koks ist alle und die Animateurin aus Rumänien wartet seit Stunden im Hotelzimmer. Auch in der Ehe läuft`s nicht mehr rund. Die Planung der Abendgestaltung wird zur Sinnfrage: Was will ich und woher kann ich wissen was ich will wenn ich immer will was du willst. Und warum willst du auf einmal nicht mehr dass ich will was du willst, sondern was ich will?

Die hilflos lethargische Ehefrau (Susanne Heubaum) liest ihren Text schon ab und knüpft beinahe an die Resignation der Katzelmacher-Damen an, während der notorisch überforderte Ehemann (Martin Langenbeck) sich als Loriot-Karikatur entpuppt. Das ist geschickt gemacht und amüsant anzusehen. Die Leere bleibt Sieger und Winner take nothing.

Rasant geht es weiter: Mit Aids-Monologen, Mephisto im Latexkleid, Hexenküche trifft auf Ballermann 6, Mephisto wird zum Kiffer im Hawaiihemd, die arme Marilyn ist ein weiteres Mal „Muster aller Frauen“, die Walpurgisnacht wird zur Talkshowrunde, und und und. Der Zuschauer wird mit Szenen, Anspielungen und Kostümwechseln überflutet, die Inhaltsangabe obsolet. Ein Protokoll könnte ich schreiben, aber das ist dann doch ein bisschen viel Arbeit und wen interessiert das schon?

Wäre das ein Film würde ich sagen, die Schnitte sind zu schnell. Szene folgt auf Kostümwechsel folgt auf Szene folgt auf Kostümwechsel. Dadurch wird sowohl eine Einfühlung in die Figuren verhindert, als auch eine tiefergehende Beschäftigung mit dem Stoff. Es ist ein bisschen wie Zappen. Ich hätte mir ein wenig mehr Verweilen gewünscht. Auch die Schauspieler wirken überfordert, spielen mehr Stereotype als Charaktere – und scheinen Schwierigkeiten mit Goethes Versmaß zu haben. Sobald die Schauspieler Originalpassagen rezitieren, wirkt der Text auswendig gelernt, fast geleiert. Das stört und wirkt unprofessionell.

Dabei unterhält der Abend durchaus, er ist kurzlebig – und damit ist eigentlich auch schon alles gesagt.

Dass der Abend im Rahmen von „Carreer Attack“ als Förderprojekt für ostdeutsche Bundesländer läuft und www.karrierekonferenz.de als Webside angegeben wird, ist natürlich ein Zuckerl für den Zyniker.

Ich seh dich vor mir – Kulturfabrik Moabit

Nach Motiven von Jean Coceau

Spiel und Regie: Beate Sarrazin

 

Der Tisch ist für zwei gedeckt, der Boden ist bedeckt mit Briefen, Postkarten Andenken an eine gemeinsame Zeit….Eine Frau sitzt am Tisch neben dem Telefon und wartet.

Er hat sie verlassen, mehr wissen wir nicht. Schließlich ruft er an. Endlich. Dann wird Stärke gespielt, Unabhängigkeit herbeigelogen und Gleichgültigkeit vorgeschoben bis die Protagonistin sich den tränenreichen Zusammenbruch wieder erlaubt. Es ist klar: Hier wird gern gelitten.

An und für sich keine uninteressante Situation. Das erste Gespräch nach einer Trennung ist ja durchaus eine interessante Sache und Menschen, die hingebungsvoll in ihrer eigenen Verzweiflung baden, spätestens seit Werther ein populäres Motiv.

Leider ist das emotionale Spektrum der Protagonistin recht eingeschränkt und bewegt sich zwischen Pathos, Hysterie und Apathie und begibt sich vor allem in den Traumsequenzen (blaues Licht und rührselige Musik) an den langeweiligen Ort, wo der Kitsch regiert. Ich würde mir eine etwas differenziertere Auseinandersetzung mit Thema und Charakter wünschen. Zudem bleibt die Figur sehr blass und wenig authentisch, so dass der Eindruck entsteht die Schauspielerin hinter den dramatisch deklamierten Phrasen deutlicher zu erkennen als die Protagonistin des Stücks.

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Anarchie in Bayern – Theater unterm Turm

„I hob an Befehl griagt, das i auf ois schiaßn soi, wos si bewegt“

„Wenn aber des, wos si bewegt, oaner fo uns is?“

„Dann hot a Pech ghabt“

Der Bayrische Rundfunk verkündigt schließlich die Nachricht: Die militärischen Streitkräfte haben sich gegenseitig niedergemetzelt, der Kampf ist vorbei und in Bayern wird die Anarchie ausgerufen. Fassbinders Sturm und Drang Stück hält sich nicht lange mit der Revolution auf und sondern beginnt mit der elementareren Frage (im vollen Bewusstsein der Tautologie am Rande der Grammatik – Klugscheisser vor): Und was jetzt?

Das fragen sich nicht nur die Kleinbürger, die im Dirndl auf dem Sofa sitzen, sondern auch die frischgebackenen Anarchisten. Und so fürchtet der Kleinbürger um sein Auto, während die Tochter sich ihren Vergewaltigungsfantasien hingibt, die Anarchisten das Theater als Brutstätte der Konterrevolution abschaffen wollen und die Huren auf die Barrikaden gehen („Ihr habt alle Freiheiten“, sagt der Anarchist zur Hure. „Bisch du jetz blöd oder ich“, sächselt die Dame der Nacht). Mit viel Musik und Komödie hat Hirschmüller sitcomartig die Satire vom Untergang der Revolution inszeniert. Auf der Bühne steht ein Sofa und auf diesem wird sich ideologisch abgearbeitet.

ONKEL: Was is na des, a Anarchie?

MUTTER: Wenn alles anders is.

VATER: A naa. Net anders, durchanand.

TANTE: Was für ein Durcheinand denn?

VATER: Nix is mehr recht.

MUTTER: Gar nix!

TOCHTER: Keine Ordnung gibt’s mehr.

ONKEL: Koa Ordnung? Na!

VATER: Na. Gar koa Ordnung nicht.

TANTE : Des geht ja gar nicht.

ONKEL: Weil das nicht geht.

TOCHTER: Ein Recht muß sein.

MUTTER: Genau. —

Warum die Mutter schließlich vor lauter Orientierungslosigkeit zum Dorfflittchen und der Vater zum Kinderschänder und -mörder wird, ist leider kaum nachvollziehbar. Zu stereotyp sind die Charaktere gezeichnet bzw. dargestellt. Außerdem sind viele Szenen arg überzeichnet, verlieren sich in Klamauk und ziehen den Abend in die Länge. Der arg großzügige Musikeinsatz tut sein Übriges, so dass sich kein Sog einstellt und nur ein unterhaltsamer Theaterabend bleibt, der kaum weh tut.

Am Ende greift die US-Army ein und die Huren haben Hochkonjunktur. „Die Demokratisierung des Volkes ist der Weg in die Anarchie. Gott mit dir du Land der Bayern“, tönt endlich Franz Josef Strauß aus dem Radio.

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(Wunderschönes Dialogfragment der Liebenden aus dem Gedächtnis, also keine Gewähr für Texttreue:

Er: Es ist fantastisch sich zu lieben

Sie: Ja, das ist wahr, man blüht auf mit der Liebe

Er: Du bist schön

Sie: Es ist schön wie du das sagst

Er: Du gehörst mir

Sie: Ich liebe dich so sehr

Er: Irgendeinen braucht man ja zum lieben

Sie: Das muss so sein

Er: Ich werde dich immer lieben

Sie: Wir nehmen uns bei der Hand und träumen )

Regie:

Hans Hirschmüller

Darsteller:

Katja Szigethy: Peter Sura: Stefan Dick: Rebecca Wolf: Kim Wanders: Klaus Teigel: Katrin Jähne: Alexandra Sydow: Katja Ammer: Franz Lenski: Hans Hirschmüller:

Annes Schweigen im Theater unterm Dach

Regie: Ron Rosenberg

Schauspiel: Bea Ehlers- Kerbekian

Das Bühnenbild ist eine Installation. In dem großen leeren Raum vor einer weißen Leinwand ist ein umgestürzter Tisch am Boden, ein anderer schwebt im Raum, durch Fäden und Seile sind sie verbunden; miteinander, mit dem Raum, mit der Decke. Sie teilen und verbinden die Zwischenräume, in welchen sich die Protagonistin bewegt. Dogan Akhanh erzählt die Geschichte von der Türkin Sabiha, die in Deutschland aufwächst und sich einer türkisch-nationalistischen Gruppe anschließt, um ihrem Land nah zu sein. Wie sie beim Tod der Mutter zwischen deren Brüsten ein armenisches Kreuz tätowiert findet und ihr Leben zerbricht. Der Monolog beginnt mit der Stimme der besten Freundin Sabihas, die versucht die andere zu verstehn. Wenn ich an Anne denke, sehe ich am Himmel die Kraniche kreisen. Schließlich erzählt Sabiha selbst, um das Schweigen Ihrer Anne (türk. Mutter) zu brechen. Sabiha spielt mit den Fäden, sie teilt den Raum wieder und wieder aufs Neue, sie bindet sich fest, sie schneidet sich ein, sie singt mit ihnen. Ich habe gehört, dass es Kraniche gibt, die jedes Jahr um dieselbe Zeit an verschiedenen Orten in die Luft steigen, um in dieselbe Richtung zu fliegen. Sie wollen das Meer überqueren, um auf der anderen Seite zu landen. Wenn sie über das Meer fliegen, beginnen sie immer über derselben Stelle zu kreisen, bis sie aus Erschöpfung ins Meer hinabstürzen Kranichforscher haben die Stelle entdeckt, an welcher die Kraniche sterben. Sie soll die alte Heimat der Kraniche sein, bevor das Land auseinander gegangen und an dieser Stelle das Meer entstanden ist. Es ist ein ruhiger, ästhetischer Abend mit einer beeindruckenden Schauspielerin (Bea Ehlers-Kerbekian), der nachdenklich macht. Sicher ist es auch ein politischer Abend. „Wir brechen das Schweigen, wo es angefangen hat“, steht im Programmheft und anschließend finden Podiumsdikussionen mit Traumatisierungspezialistinnen (mein Vorschlag für das Unwort des Monats) oder Historikern statt. Für mich ist es vor allem ein Abend, der sehr eindrucksvoll die Geschichte einer zerbrochenen Identität erzählt und buchstäblich schön anzusehen ist. Sie suchen also die Heimat die nicht mehr existiert. 

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Tage des Zorns – Kindesmissbrauch in der Theaterkapelle

Regie: Christina Emig-Könning

In der Gruft unter der Theaterkapelle hat man eine Stange angebracht, man hat Alkohol ausgeschenkt und die Leute reingelassen. Kerzen und Choräle bleiben. Ein Mann stülpt ein Kondom über sein Mikro, stößt es sich in den Mund und würgt: „Liebe“. „Je t`aime plust que tout“, antwortete nonchalant die Pole-Dancerin, eingesperrt in einer Hippie-Fantasie hinter dem Blümchenvorhang mit Federn im Haar.

Sex-Show und Musik sind die Kulisse für den Hass-Monolog eines missbrauchten Kindes:

„Wir hatten einen Körper, ein Leben. Eine Zukunft. Dann, nachdem die Männer bei uns waren, hatten wir nichts mehr. Heute sind wir niemand mehr. Nur gefickte Kinder deren gefolterte Körper älter geworden sind. Aus diesen ruinierten Körpern schreien wir. Wir sind Mädchen und Jungen. Wir sind fünf, sieben, elf und dreizehn Jahre alt. Wir sind Mädchen und Jungen in zu alten Körpern, die zu wahr sind, zu traurig, zu abstoßend, zu verletzt, zu zerbrochen, zu unansehnlich, zu hässlich, kalt und unfreundlich, um jemals geliebt zu werden. Körperscherben“. Der Protagonist (Ilja Pletner) schreit und windet sich unter dem Schmerz;zwingt sich in ein rotes Kleid und sucht mit pinker Perücke nach einer sexuellen Identität, die weniger weh tut; er gebiert Gummiföten aus einem Müllsack; er setzt sich mit Tröte und Karnevalshut vor die Tänzerin und lacht: „Dass ich so lebendig bin!“

Beginnt der Abend noch besinnlich mit sphärisch an die Wand projizierten Kinderbildern, wird der Rhythmus bald schneller, die Bilder verstörend und entwickelt schließlich einen Rausch, dem man sich widerstrebend hingibt. Getragen wird die Vorstellung von Musikstücken quer durch alle Genres. Das gelingt nicht immer und wirkt teils arg willkürlich. Manchmal jedoch führt es zu wunderbar absurden Szenen, die Ihresgleichen suchen: Wenn „das Kind, das überlebt hat masturbierend über den Föten zusammenbricht und die Pole-Dancerin (Franziska Naumann) lasziv zum Mikro greift und Xavier Naidoos Kalauer anstimmt: „Und was wir alleine nicht schaffen, das schaffen wir dann zusamen. Wir kennen keinerlei Waffen unsere Waffen sind unser Verstand“, dann ist das so herrlich, dass man kaum etwas dazu sagen mag und sich über das Copyright Gedanken macht.

Gegen Ende wird der Abend leider immer lauter und verliert sich im Pathos der politischen Message: Die Kritik an einer Gesellschaft, die so böse und verkommen ist, dass sie Kindesmissbrauch toleriert. „Was ist politisch korrekt? Warum töten wir diese Männer nicht?“, wird dann geschrien und der flüchtende Protagonist wird vom Security hinter geschlossenem Visier vors Publikum geschleift. Dass am Ende der entblößten Pole-Dancerin das Blut aus dem Mund läuft und der Protagonist Hakenkreuz und Mercedesstern unter die Parole „Meine Revanche ist das ich bleibe“ malt, wäre nicht nötig gewesen.

Es bleibt ein sehr beeindruckender Abend, der einen gewaltigen Sog entwickelt . Der Hauptdarsteller Ilja Pletner ist ein Glück für die Produktion. Denn letztlich überzeugt nicht das Konzept des Abends oder der Text, sondern ein Schauspieler, der uns an die Grenzen des Erträglichen mitnimmt.

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„Rätsel der Liebe – Einer Art Liebe“ im Acud-Theater

In Some Kind of Love Story sind es gesellschaftliche Realität und Korruption der Justiz, die eine desillusionierte Frau zugleich verheimlicht und enthüllt. In Elegy for a Lady gilt die Erkundung dem Bewusstsein und Gehalt einer sexuellen Verbindung, die durch den möglichen Tod eines der beiden Partner an ihr Ende gelangt ist. In beiden Fällen ist die Illusion das Leid, das bekämpft und zugleich doch als Möglichkeit, das Leben überhaupt zu ertragen, akzeptiert werden muss“ (Arthur Miller).

Diese Beschreibung der beiden Stücke, die Arthur Miller unter „Two Way Mirrorr“ veröffentlichte (und von denen ich noch nie gehört hatte) machte mich neugierig. Das erste Stück („Rätsel einer Liebe“) beginnt mit einer schönen Frage: Was schenkt man seiner sterbenden Geliebten? Schnitt- oder Topfblumen? Eine wertvolle Taschenuhr oder ein Bettjäckchen? „Alles kommt mir irgendwie sarkastisch vor“, sagt „der Mann in den besten Jahren“ zu der auch schon angealterten Ladenbesitzerin. Die Situation scheint ebenso klischeehaft wie einfach zu sein: Der nicht mehr junge, gutsituierte, verheiratete Mann (der bezeichnenderweise auch keinen Namen tragen darf) lernt die junge, lebenslustige Frau kennen, verliebt sich in sie und gemeinsam frönen sie den „schönen Dingen des Lebens“. Eine Affäre die von der Leichtigkeit (und seinem Geld?) lebt. Nun stirbt die Geliebte und die Leichtigkeit wird unerträglich. Die Situation, so trivial umrissen, verliert ihre Konturen, je weiter die Erzählung fortschreitet. Immer rätselhafter wird, ob die Geliebte wirklich stirbt oder ob der Tod der Geliebten Furcht oder Wunsch des Mannes ist. Ebenso verschwimmen die Charaktere der Ladenbesitzerin und der Geliebten bis der Mann, „den man einfach lieben muss“, schließlich der Ladenhüterin in die Arme fällt.

Sie wollten ihr Leben nicht mit ihr teilen, warum wollen Sie jetzt das Sterben mit ihr teilen?“, fragt ihn schließlich die ebenfalls Namenlose. Es gibt keine Antwort – Gott sei Dank – wo bliebe die Kunst, wenn es eine gäbe?

Auch im zweiten Stück geht es um die Lüge, die hält und zerstört. Auch hier austauschbare Protagonisten, die mit Wahrheit, Liebe und der namenlosen Angst, die immer kichert, ringen. Die Szenerie ist dem hard-boiled Krimi entliehen und hätte nicht auch diese Erzählung die Surrealität fest im Nacken, man könnte sie für eine von Chandlers Kurzgeschichten halten: Es ist eine warme Nacht in einer amerikanischen Großstadt, in der die Prostituierte Angela den Privatdetektiv Tom erneut zu sich bestellt, um ihm die Hintergründe des ominösen Falles ein weiteres Mal offenzulegen, der die beiden seit mehr als fünf Jahren in „einer Art Liebe“ zusammenhält. Ob es nun tatsächlich einen Fall gibt oder ob Angela eine multipel gestörte Persönlichkeit und Tom ein liebeskranker Idiot bleibt sich völlig gleich. Sie spielen das uralte Spiel von Liebe und Abhängigkeit – alles andere ist nur Kulisse.

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Leider ist die Inszenierung einfallslos und bieder: Sie erinnert in Kostüm (toupierten, gelb gefärbten Haaren), Musik (Downtown) und Spiel (gnadenloses Overacting) an schlechte Filme aus den 60 er Jahren. Ob damit nun eine etwas rätselhafte Hommage an die Entstehungszeit (allerdings entstand das Stück 85 nicht in den frühen 60ern) gemeint ist oder einfach Lust und Laune entsprungen – es funktioniert nicht. Durch ihr Overacting berauben die Schauspieler ihre Charaktere jeder Dimensionalität, so dass ich mich langweiligen Schablonen gegenübersehe und versuche nur den Dialogen zu lauschen. Diese haben mich allerdings derart gefesselt, dass ich weiß welche Stücke ich als nächstes lesen werde. Und letztlich ist das keine geringe Leistung.

Liebe, Leid und das Erfüllen von Klischees

Prime Time Theater, Regie: Constanze Behrends

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„Heiratet man nicht deswegen, um nicht ständig ein Diaphragma in der Handtasche mit sich herumzutragen?“

Diese und andere Fragen stellen sich die 5 Frauen in „Liebe Leid und alle meine Kleider“. Das Stück basiert auf dem gleichnamigen Buch von Ilene Beckermann und wurde von den Ephron Schwestern, bekannt durch romantische Belanglosigkeiten wie „E-mail für dich“ oder „Schlaflos in Seattle“, bearbeitet.

Das „Stück“ besteht aus einer Reihe von Monologen, in denen 5 Frauen erwartungsgemäß von großen und kleinen Romanzen, Müttern, Töchtern sowie gescheiterten Ehen erzählen – und von den Kleidern, die sie tragen oder die nicht passen, als wenig originelle Metapher für die jeweilige Lebensphase. „Sex and the city“ also.Nachdem das Stück am Broadway und in Paris aufgeführt wurde, läuft es nun auch im Prime Time Theater (bekannt für die durchaus unterhaltsame Theater-Sitcom „Gutes Wedding Schlechtes Wedding“).

Was bisher wenig originell war, wird im Prime Time Theater langweilig. Die Monologe werden abwechselnd von fünf Frauen unterschiedlichen Alters vor der Silhouette einer großen Stadt gelesen. Für den seichten Inhalt eine doch recht starre Erzählsituation. Ein paar Songs, Aquarell-Projektionen der Kleider, Slapstick und Sitztanzperformances sollen diese vermutlich auflockern, doch das wirkt leider recht bemüht und gelegentlich albern. Gott sei Dank ist der Text an sich durchaus witzig und dankbar zu lesen. Außerdem sind die Schauspielerinnen so gut, dass der Abend trotzdem amüsant und nicht allzu langwierig ist. Trotzdem: Schade.

Gutes Wedding Schlechtes Wedding ist besser. Ein paar Folgen „Sex and the city“ leider auch.

Lost Love Lost – Shakespeare im Ramba Zamba Theater

oder: Lasst mich den Löwen auch noch spielen

Regie: Gisela Höhne Dramaturgie: Hans Nadolny

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„Ich will keine Geschichten. Keine Liebesgeschichten. Das kann nicht gut ausgehen!“, schreit Prospero, und zwingt sich auf seinem Rollstuhl nach vorn, als sich seine Tochter Miranda verliebt und fordert ein weiteres Stück: Othello. „Und du wirst zusehen!“, herrscht er sie an, „du sollst die Qualen der Liebe kennenlernen!“. Und sie sieht zu. Wir alle sehen zu, wenn das uralte Spiel von Eifersucht und Tod ein weiteres Mal erzählt wird – in Gebärdensprache. Denn Miranda ist taubstumm – in Rolle und Realität.

Das Ramba Zamba inszeniert Lost Love Lost mit 30 Leuten und 4 (Versatz-)Stücken Shakespeares. Eingewoben sind „Hamlet“, „Othello“ und „Richard III“ in den „Sturm“, der Leitmotive und Rahmenhandlung vorgibt. Der Zauberer Prospero (Sven Normann) wird zum Regisseur und verdammt seine ehemalige Schauspielgruppe dazu Shakespeare zu spielen. Prospero will sich rächen, an dem Bruder, der ihn verriet, an der Welt die ihn verdammt und an der Liebe, die niemals gut ausgeht. Gisela Höhne, die Regisseurin des Abends lässt die Erzählebenen bald verschwimmen. Hier wird mit allem und jedem gespielt: Die Gebärdensprache, ursprünglich, dem Umstand geschuldet, dass die taubstumme Rosemarie Walter zum ersten Mal dabei ist, wird zur Choreographie für das Unaussprechliche. So spielt Miranda (Rosemarie Walter) die Königin Gertrud und wenn sie aufrichtig trauernd die Grabrede für Ophelia (Nele Winkler) in Gebärden vorträgt und das ganze Ensemble chorisch ihren Bewegungen folgt, erklären sie uns allen den Tod. Die taubstumme Tochter Miranda verliebt sich in den Schauspieler des Othello (Moritz Höhne); Prospero befielt die Mausefalle, das Stück im Hamlet nachzustellen, um Antonio/Claudio zu entlarven. Als die Schauspieler den Verrat des Antonios/Claudios (Hans-Harald Janke) erkennen, versucht Hamlet (Sebastian Urbanski) ihn zu töten, trifft aber Polonius (Joachim Neumann).

Mit den Rollen verschwimmen auch die Schicksale der Charaktere: Caliban wird dazu verdammt den Jago in „Othello“ zu spielen und verweigert den Gehorsam, Lady Ann wird von Miranda gespielt und widersetzt sich der Verführung des Mörders. „Die versteht man ja gar nicht!“, ruft ein Schauspieler, worauf die Geister die Gebärden übersetzen. Keine Übersetzung ist nötig, wenn Lady Ann mit einem Lachen wieder zu Miranda wird, das Stück zur Komödie erklärt und Richard III. (Hans-Harald Janke), der von Antonio gespielt wird, seiner Demütigung überlässt.

Die Reizüberflutung fordert jedoch auch ihre Opfer: Das fantastisch detailverliebte Bühnenbild, die bedrückende Musik, die live eingespielt und teils von den Schauspielern übernommen wird und die Menge an Stoff lenken von der durchdachten Struktur des Abends ab und verführen dazu, sich nur den Bildern und Welten hinzugeben, die hier aufgespannt werden. Wenn allerdings so großartige Bilder dabei entstehen ist das kein großes Unglück.