„Ist der lächerlich!“ // freak dinner im Teamtheater München

FREAK DINNER von Francis Veber

Als meine erste Theateraufführung nach der Sommerpause sehe ich die Wiederaufnahme einer erfolgreichen Produktion der Compagnie Antéros im Teamtheater München. Aus dem französischen Theaterstück Le diner de cons (uraufgeführt 1993) von Francis Veber wird FREAK DINNER (1998 erschien der Film Dinner für Spinner und ich frage mich im Nachhinein, warum nicht einfach dieser Titel belassen wurde). Denn ebenso wie der Film setzt die Inszenierung (Regie: Oliver Zimmer) vor allem, wenn nicht ausschließlich, auf die Kurzweiligkeit von mehr oder weniger zündenden Gags sowie die Unterhaltungsqualitäten von echt schrägen Typen.

Es treffen sich an einem Freak-Dinner-Abend Pierre Brochant (Daniel Pietzuch) und seine Freunde, um sich über Personen, die ihrer Meinung nach Idioten erster Klasse darstellen, zu moquieren – Kandidaten werden pro Woche neue gesucht und ohne deren Wissen nehmen sie mit der Einladung zu einem Abendessen sogleich den Wettstreit um den Titel „Freak des Abends“ an. Zu einem solchen Dinner kommt Pierre an einem bestimmten Abend aber gar nicht hin – eigentlich. Durch einen Hexenschuss lahmgelegt will er sich von diesem Abendvergnügen schweren Herzens verabschieden und „kurieren“, hat aber nicht mit der Hartnäckigkeit seines „Weltklassetrottels“ Francois Pignon (Philipp Weiche) gerechnet, der zur vereinbarten Zeit an seiner Wohnungstür klingelt. Das sich nun entwickelnde Katz-und Mausspiel (wobei die Katze hierbei die Maus verjagen möchte), bei dem Pierre erkennen muss, dass sein Gast nicht nur unendlich lästig sondern auch „unfassbar“ hilfsbereit sein möchte, ist voraussehbar. Das Nette daran ist, dass sich hier zwei Menschen treffen, die einander unwissentlich und unwillentlich kennen und brauchen lernen. Darauf baut die Inszenierung jedoch keine großen Stücke.

In dieser Typenkomödie mitmischen dürfen zudem Pierres Ehefrau Christine und Geliebte Marlène (sinnigerweise [?] beide dargestellt von Claudia Schmidt), sein ehemals bester Freund und alte Liebhaber seiner Frau, Juste Leblanc (Markus Fisher), sowie Lucien Cheval, der womöglich neue Liebhaber seiner Frau, und Dr. Archambaud (beide Armin Hägele).

Der Abend ist in sich stimmig, dennoch fehlt eine mitreißende Grundenergie und der Blick hinter die künstliche Fassade dieser Idioten-Typen, denn ja – natürlich sind sie, sind wir Menschen, es alle irgendwie. Somit bleibt nicht viel von dieser ersten Theateraufführung nach der Sommerpause als einige herausragende Schauspielleistungen (Philipp Weiche gibt dem „Weltklassetrottel“ wenigstens Herz zum Slapstick dazu) der Eindruck, dass der Theatertext an sich vielschichtiger ist, als diese Inszenierung glauben machen mag.

Macht…mal! Die Jüdin von Toledo, Studiobühne München

Die Jüdin von Toledo nach dem Roman von Lion Feuchtwanger, in einer Fassung von Kristo Sagor — Studiobühne München — Regie: Katharina Nay.

Dass ich weder den Roman, noch die Textfassung oder den historischen Stoff kenne, ist kein Problem bei dieser Aufführung. Auch wenn ich am Anfang noch versuche die verschiedenen Handlungsstränge zu verknüpfen und in einen kohärenten inhaltlichen Zusammenhang zu bringen, merke ich bald, dass ich mit dieser Rezeptionshaltung mich nicht auf die Inszenierung werde einlassen können. Dazu sind die Sprünge von in Berichten durch die Erzählfigur vorgetragenen Passagen zu Dialogen in wahlweise gestrig höfischer und heutiger Umgangssprache einfach zu groß. Außerdem verrät mir das augenzwinkernde Gitarren-Vorspiel der Erzählfigur (David Niederer), dass sich hier alles vielleicht nicht so sehr um das was, sondern um das wie dreht.

Vater Jehuda Ibn Ezra (Thomas Wegler) und Tochter Rechja/ Raquel (Hannah Saar) nehmen den Zuschauer mit auf die Reise nach Toledo, Schauplatz für Länder- Völker- Religions- und auch persönliche Konflikte. Wirken die von den Figuren verhandelten Themen einerseits befremdlich überholt (schöne Tochter bezirzt König, Vater hat was dagegen, Ehefrau intrigiert, ein Krieg bricht aus…), schafft es die Inszenierung andererseits neue Spiel- und Interpretationsräume zu öffnen.

Nicht nur auf dem Flyer zur Inszenierung ist Macht als Diskurs bzw. als Leidenschaft präsent. Auch im Zusammenwirken von Sprache – gesprochenem wie geschriebenem Wort (Bühne und Licht: Sascha Röder)- und körperlichem Ausdruck im Spiel der Darsteller scheint Macht als dominierende Kraft auf. Zwischen Machenschaften und Machtlosigkeiten versucht jede Figur auf ihre Weise das individuelle Interesse durchzusetzen und wird dabei in ihrer Ohnmacht ertappt. Dabei legt Regisseurin Katharina Nay gleichzeitg Rollenbilder und an sie gebundene Verhaltensweisen offen, die uns heute immer noch einholen („Hey, ich bin doch der König!“, genialer Anti-König: Jan Struckmeier). Das Einnehmende dabei ist, dass Glaubwürdigkeit bzw. Überzeugungskraft der einzelnen Figuren nicht oberste Prämisse der Darstellung sind. So gelingt es in den großartigen Momenten des Abends, dass der Zuschauer in eine Art Zwiespalt versetzt wird, da die Darsteller komplett aus ihrer Rolle heraus treten, an das Publikum heran, und die Situation-im-Spiel kommentieren. Das ist nicht nur sehr komisch und unterhaltsam, es fordert eine Haltung zum Geschehen und negiert diese sogleich wieder – wenn etwa zu einem späteren Zeitpunkt der Inszenierung Tobias Zettelmeier als Ellinor (Königinmutter) in die Szene einbricht und durch seine Erscheinung und Habitus das traditionelle Denken und Handeln seiner Tochterfigur konterkariert.

(c) Jean-Marc Turmes

Verschiedene Möglichkeiten der Repräsentation einer Geschichte auf dem Theater werden subtil angedeutet, großspurig übertrieben und wieder verworfen. Die Macht von Geschichte oder Erzähltem fügt sich über Symbolik im Bühnenbild (mein Favorit: der aus Papier gefaltete und von König Alonso gold angepinselte Löwe) auf wunderbare Weise ein in die Machtvorstellungen und Beziehungen der einzelnen Figuren. Diese müssen bald die Grenzen ihrer Handlungsmöglichkeiten erkennen. Sie werden von der vermeintlichen Realität des Krieges eingeholt, scheitern an den ihnen vorgegebenen Identiäten des „Königs“, der „Geliebten“ oder des „Vaters“ und werden ermordet – das heißt hier: sie gehen ab.

Über die Wertigkeit von Papier, die Materialität eines Buches oder von Farbe und ihrer Wirkung wird ein besonderer Zugang zum Dargestellten geschaffen. Dadurch berührt man nicht nur das Herz aller Buchliebhaber, sondern schafft durch das nicht-Konkrete Raum für Phantasie.

Dadurch, dass sich die Inszenierung nicht zu ernst nimmt, nicht immer funktionieren will und erklären mag, gewinnt die Aufführung (gesehen am Mittwoch, 03.07.2013) eine befreiende Leichtigkeit, die beim leichten Hang zum Slapstick gefährlich sein kann, wenn sie nicht voll durchgezogen wird.

Schließlich wissen wir nach der Aufführung nicht mehr als Foucault, doch haben wir uns den Verhältnissen gestellt und fragen uns einmal mehr, was Theater eigentlich mit uns Macht. Das ist ziemlich gut.

Premiere am 02.07.2013, Studiobühne LMU München

mit: Thomas Wegler, Hannah Saar, Jan Struckmeier, Maria Gerlinger, Tobias Zettelmeier, Katharina Pößnecker, David Niederer

Regie: Katharina Nay, Künsterlische Assistenz: Carmen Böhm, Bühnenbild/Licht: Sascha Röder, Bühnenbildassistenz: Umberto Federico, Kostüme: Hannah Saar, Techn. Leitung: Wolf Markgraft

Und sie leben fort… – The Virgin Suicides nach Jeffrey Eugenides/ Pathos münchen

Ein Regieprojekt von Pia Richter (Otto-Falckenberg-Schule München).

Ein Roman, den ich sehr mag. Ein Autor, den ich verehre. Das kann eigentlich nicht funktionieren mit diesem Regieprojekt und mir… Doch die Voreingenommenheit meiner Vorstellung lasse ich schnell beiseite, denn noch bevor ich überhaupt meine Karte abholen kann, parke ich mein Fahrrad in der Nähe eines mit Luftballons behängten, mit jungen lachenden Männern besetzten und in 70s-Mucke dröhnenden Autos.

Ich bin angekommen in einer spießigen Kleinststadt der USA, in der sich fünf junge Mädchen das Leben nehmen (genommen haben, nehmen werden). Die fünf Jung-Schauspieler liefern eine kleine Unterhaltungsperformance, die so manchen staunenden Zuschauer zu spät in die Räume der Pathos-Bühne treten lässt. Schmunzeln.

Und auch drinnen erst mal: Gucken und Hören! Da spielt links eine Band, während sich rechts die ersten Zuschauer schon ihre Plätze gesichert haben. Da hängen zwei Lisbon-Mädchen an der Bar rum, während eine dritte auf dem Tresen balanciert. Gleichzeitig hole ich mir dort ein Bier und bewundere die Ballroom-artige Atmosphäre, die hier mit nur wenigen Elementen geschaffen wurde (Scheinwerfer, Parkettbodenstücke, Luftballon-Wolke, Girlanden). Wieder muss ich schmunzeln. Denn vor Beginn der eigentlichen Aufführung, beweist die lebendige in-Szene-Setzung des Raums (Bühne: Alena Georgi) am Pathos-Gelände schon viel Gespür für die Eigen- und Besonderheiten dieses Romans von Jeffrey Eugenides.

Mit viel Selbst-Ironie und Spielfreude gestalten die fünf Schauspieler (Anton Schneider, Moritz von Treuenfels, Bastian Beyer, Nicolaas van Diepen und Konstantin Bez)  im Laufe der nächsten 60 Minuten die vor Sehnsucht nach den unerreichbaren Lisbon-Schwestern und unbändiger Lebensgier strotzenden Highshool-Jungen Paul, Tom, Trip, Peter und Tim. Jeder ein klarer, stark markierter Typ für sich, mit eigenem Bewegungsmaterial (wenn sie träumend – oder ihren Erinnerungen nachhängend – durchs Leben wandeln, oder sich den angebeteten Schwestern näheren). Außerdem sind die Erzählpartien in dieser kompakten Adaption klug auf die fünf männlichen Protagonisten aufgeteilt.

Die Lisbon-Schwestern – Ziel des unsicheren Begehrens und der wundertollsten Vorstellungen der Jungs : Cecilia, Lux, Bonnie, Mary und Therese (Raphaela Kühl, Simone Lindner, Sabrina Freiwald, Rikke Holm Christiansen, Stephanie Felber) kommen wie in der Romanvorlage zwar nicht zu Wort, sind aber dennoch stets präsent. In blassen Kleidern und mit wasserstoff-bläulich-rosanen-grünlichen Perücken drücken sie sich über feine Körperssprache und stilisierte Tanzfiguren aus. Da sie in ihrem Elternhaus – absolut isoliert von der Außenwelt – nur zu leben versuchen (selbst die Schulbesuche werden ab einem gewissen Zeitpunkt untersagt), scheinen sie der Realität der Nachbar-Jungs auf vielfache Weise entrückt, werden dadurch noch unfassbarer und reizvoller: der Schritt ins Leben bleibt hier nur scheues Tänzeln. Wie Schmetterlinge, die zu früh entpuppt, sich in der Welt verirren.

Obwohl bei der stark auf das Wesentliche komprimierten Textfassung sicherlich einige Tiefen des Romans zu kurz kommen, überzeugt die Aufführung auf ganzer Linie. Bei allem heiteren Amüsement über die verzweifelt-abstrusen Annäherungsversuche der beiden „Welten“ berühren besonders  die non-verbalen Momente. Wie etwa, wenn auf dem Prom (der Highschool-Ball schlechthin und auch Großereignis in dieser Kleinstadt [unter striktesten Auflagen dürfen die Mädchen sich hierzu ausführen lassen]) die vier Paare in anfänglicher Unbeschwertheit ansteckend ausgelassen miteinander tanzen, die Lisbon-Mädchen jedoch  nach und nach zu leblosen Puppen in den Händen ihrer Tanzpartner zerfallen – angekündigt durch die schon verstorbene Therese (Suizid No 1), die von Paul auch mit auf die Tanzfläche gezerrt worden ist.

So endet die Aufführung schließlich wie sie begonnen hat: mit fünf Jungen, die jene Erinnerung an fünf dem Leben entzogene Mädchen bewahren und immer wieder rekonstruieren wollen – an diesem Theaterabend ist sie in Ausschnitten lebendig geworden; nicht zuletzt dadurch, dass das Theatergebäude selbst gleichzeitig das Lisbonsche Haus ist, welches die fünf aus ihrem Auto heraus beobachten…

Toll!

Premiere: 19.04.2013, gesehene Vorstellung: 21.04.2013 @Pathos transport theater, München.

Märchen sucht Magie – Zwischen neun und neun im Keller der kleinen Künste

Zwischen neun und neun , nach einem Roman von Leo Perutz, in der Regie von Philipp C. Montasser

Vielleicht hätte ich mir die Inhaltsangabe der Vorlage dieser Roman-Adaption im Voraus auf bewährten Internetseiten durchlesen sollen, denn leider bot die erste Produktion der ATON (Anstalt für Theater und Oper in der Neuzeit) kein Programmheft, welches mir den Zugang zu der Inszenierung erleichtert hätte. So stellte ich in der Pause bei einem genaueren Blick auf das Plakat fest, dass es sich bei dem gerade Dargebotenen um ein Märchen aus dem Wien der Belle Epoque handeln sollte. Oh.

Tatsächlich änderte sich dadurch meine Haltung gegenüber dem Spiel der acht Darsteller im kalten Keller (evtl. half auch der Rotwein, den das nette K.d.kl.K.-Team ausschenkte). Denn zuvor war ich doch etwas verwirrt ob der allzu naiven und klapperkomödienhaften Repräsentation eines harmlosen Textes.

Es geht also im Roman von Leo Perutz um die persönlichen Irrungen und kriminellen Wirrungen des Studenten Stanislaus Demba, der sein möglichstes und mehr tun möchte, um mit seiner Freundin Sonja auf eine große Reise zu gehen. Wenn er das dafür nötige Geld nicht bis zum Abend beisammen hat, fährt Sonja mit dem Nebenbuhler nach Venedig. Aha.

Die schauspielerische Leistung der Truppe ist für Laiendarsteller  durchschnittlich schon überzeugend. An einigen Stellen wünscht man sich etwas mehr bzw. weniger „Stimme“ – so sind vor allem im ersten Teil einige Repliken nicht zu verstehen. Besonders das Augenzwinkern und der ironische Unterton,  mit dem die Darstellerin der Sonja und ihr weiterer Vereherer (die Namen kann ich aufgrund fehlender Informationen nicht zuordnen) ihre Rollen gestalten, sind erfrischend und kommen beim Publikum gut an.

Am eindrücklichsten sind die Momente, in denen in Audio-Einspielern das gehetzte Keuchen des vor der Polizei flüchtenden Demba zu hören ist, welches sich mit dem charakteristischen Motiv des Wiener Walzers mischt, bevor die Platte zu hängen beginnt. Hier kommt auch endlich die tolle Atmosphäre des Kellers zum Tragen – besonders wenn das Publikum dabei im Dunkeln sitzt. Schade, denkt man, dass dies nur am Anfang und am Ende der Fall ist.

Die Sprache kommt teilweise schon etwas altbacken daher und die Handlung stolpert mal von Szene zu Szene, so dass jene surrealen und sonderbaren Momente, die ein Märchen verspricht, nicht unbedingt wirken können.

Denn auch Bühnenbild und Ausstattung (Kathrin Rodemeier) deuten zwar mit einer Uhrenwand und Gebrauchsgegenständen in überdimensionaler Größe auf subtile Weise eine fantastische Weltordnung an, die entfernt an Alice im Wunderland erinnert. Jedoch können sie diese im Kellerraum nicht konsequent behaupten.

Ob dies auf der Bühne der Pasinger Fabrik dann vollends gelingt, kann man am 27.3., 28.3. und 30.3. herausfinden.

Einen Tag wie zehn Jahre leben – Oskar und die Dame in Rosa von Éric-Emmanuel Schmitt

Eine Produktion von kleines theater – KAMMERSPIELE Landshut /

mit Léonie Thelen, Regie: Petra Dannenhöfer.

Premiere im Teamtheater Tankstelle München am 15.02.2013.

„Oscar et la dame en rose“ kannte ich aus dem Französischunterricht und der Text des französischen Philosophen und Dramatikers  Éric-Emmanuel Schmitt hatte mich für eine Schullektüre schon auf ungeöhnliche Weise berührt. Zudem wurde die nun im Teamtheater München erstmals aufgeführte Inszenierung von Petra Dannenhöfer bei den Bayrischen Theatertagen 2012 mit dem Publikumspreis ausgezeichnet. Meine Erwartungen waren dementsprechend hoch.

Die Geschichte des neunjährigen Jungen Oskars, der unheilbar an Krebs erkrankt ist, und der Dame in Rosa („Mama Rosa“, wie nur er sie nennen darf) scheint auf den ersten Blick einfach gestrickt und spannungsarm: der kleine Patient beginnt seine Eltern zu hassen, da diese nicht mit seiner Krankheit umzugehen wissen, weshalb er enge Freundschaft schließt mit einer der älteren Damen, die Krankenbesuche auf der Kinderstation des Krankenhauses machen. „Mama Rosa“ überredet Oskar dazu Briefe an Gott zu schreiben, um so seine Angst vor dem Tod zu überwinden. Doch in den regelmäßigen Besuchen der alten Dame bei Oskar, ihren Unterhaltungen (sie erfindet für ihn Geschichten aus ihrer Zeit als Ringerin, berichtet von glorreichen Siegen gegen die skurilsten Gegnerinnen; er erzählt ihr von seinem Krankenhausalltag, wo ihn Menschen nur traurigen Blicks betrachten, auch wenn er gute Laune hat…) und schließlich den Briefen, die der Junge an Gott verfasst, werden Fragen menschlicher Existenz aufgeworfen und die Absurdität des Status von gesund oder krank sein demonstriert.

Diese Kammerspiel-Produktion zeigt eine begeisternde Solo-Nummer von Léonie Thielen, die sich mit großer Spiellust auf die beiden Hauptfiguren stürzt und in den jeweiligen Monologen oder Dialogpartien gleich noch ein dutzend Nebenfiguren zeichnet (wie etwa Oscars Krankenhauskumpels Einstein, Popcorn und Bacon oder seinen behandelnden Arzt Dr. Düsseldorf). Dafür sind jedoch keine zahllosen Kostümwechsel nötig. Die einmalige Andeutung der Figur „Oscars“ durch eine blau-weiß gestreifte Mütze genügt etwa, um der Schauspielerin fortan die beständigen Figurwechsel abzunehmen. Bald ist es selbstverständlich, dass auf der Bühne tatsächlich kein kleiner Junge rumhüpft.

OSKAR3.jpg

So gibt es keine einzige Stelle, die an eine Nacherzählung erinnern würde. Die Solo-Darstellerin unterstreicht durch unterschiedliche Färbungen ihrer Stimme und mit subtiler Körpersprache sowohl Mme Rosas energische und fantasievolle Aufmunterungs-Bemühungen als auch Oscars Zweifeln oder die Wut auf seine feigen Eltern. Unterstützt wird sie von einigen wenigen ausgesuchten Requisiten und einem vornehmlich in weiß gehaltenem Bühnenraum, der freilich die Grundsituation Krankenhaus etabliert, gleichsam aber mehr Räume durch Wortkulisse eröffnen lässt. Erweitert wird er an ausgewählten Stellen durch die Projektion der handschriftlichen Briefe Oscars. Musikalische Einspieler von verspielt-melancholischer Klavier – oder Gitarrennummern werden etwas überstrapaziert, doch die Mischung des Schneewalzers mit den Tönen technischer Krankenhaus-Monotonie ist wiederum genial und schön tieftraurig.

Der Theaterabend besticht durch die Einfachheit seiner Mittel und ihren feinsinnigen Einsatz – da muss auch nicht jeder Schritt im technischen Ablauf glücken. Aufgrund der starken Präsenz der Darstellerin, ihrer absoluten Konzentration auf die beiden Figuren, denen sie ihren Körper und ihre Stimme leiht, wird die besondere freundschaftliche Nähe von Mme Rosa und Oscar spürbar gemacht. Eine Nähe auch zwischen Léonie Thielen und dem Publikum. So wirken die humorvollen Pointen von Mme Rosas Geschichten ebenso wie das Leben des kleinen Oscars (der schließlich mit Gott Freundschaft schließt und 120 Jahre alt wird) tief anrührt. Die Wahl einer Solo-Darstellerin für diesen Text mag zudem als Hinweis darauf zu verstehen sein, dass die hier behandelten Themen für keine bestimmte Altersgruppe besonders geeignet sind, sonder schlicht jeden angehen. Damit setzt die Inszenierung – bewusst oder unbewusst – ein Zeichen gegen die Literaturkritik, die diesen Text Éric-Emmanuel Schmitts oft starren Blicks in die Kinder-und Jugendkategorie einzuordnen suchte.

Die Inszenierung eröffnet außerdem einen spannenden Zusammenhang von Theater und Tod bzw. Lüge und Spiel. Wenn Léonie Thielen als Mme Rosa am Schluss vom Tod des Jungen berichtet und erklärt, sie habe sich all die Geschichten für den Jungen nur ausgedacht, hat nicht nur sie etwas über das Leben gelernt. Auch wenn das Fazit womöglich etwas pathetisch klingt, kann ich einfach jedem diese Inszenierung ans Herz legen.

Weitere Vorstellungen in München sind am 16.2., 22.2. und 23.2. jeweils 20 Uhr und Informationen gibt es unter:

http://www.teamtheater.de/ttcms/index.php/tankstelle/oskar-und-die-dame-in-rosa/

Das Leben ist schief / Die Wildente von Henrik Ibsen auf der Studiobühne.twm

Ibsen auf der Studiobühne – dass sich die Tragödie des norwegischen Dramatikers gut mit der Blackbox-Atmosphäre der Studiobühne und mit Nicht-Stadttheater-Schauspielern verträgt, beweist Hannah Saars Inszenierung in jedem Fall. Mit viel Liebe zum Detail (besonders auch in Requisite und Kostüm: Caroline Redka) wird hier in gut einer Stunde die sich – bis zur Ankunft des jungen Gregers Werle – selbst bestätigende und feiernde „heile, (klein-) bürgerliche Welt“ der Familien Werle und Ekdal zum Kollabieren gebracht. Die Figur der Tochter Hedwig Ekdal ist gestrichen – ein spannender und sinniger Eingriff der deutlich gekürzten Textfassung (auf der Grundlage der Übersetzung von Peter Zadek und Gottfried Greiffenhagen). Dennoch ist sie aber präsent in der Rede ihrer Eltern und bleibt zunächst unsichtbar – wie die Wildente selbst.

Man hat sich eingerichtet im Alltag. Jedoch entspricht dieser kaum der makellosen Oberflächlichkeit der vom Ehepaar Ekdal zur Schau getragenen Harmonie (Küsschen links, Küsschen rechts und Nasenstupsen als Begrüßungsritual). In einer der gelungendsten Szenen baut Katharina Nay als Gina das Werlsche Anwesen mit größter Sorgfalt zur eigenen Obergeschosswohnung  um, zieht die schwarze Wand links und die Fensterfront rechts der Bühne in die Schieflage (genial, Bühne: Sascha Röder) und ihre Akribie in der Ausführung belanglosester Aufräumarbeiten lässt bereits erahnen, wer hier daran interessiert ist, den Schein von Ordnung aufrecht zu erhalten.

Leider gelingt der Umschlag von zahlreichen unterhaltsamen Momenten (der Jägermeister wird im Klavierkasten versteckt, um vom spitzbübischen Werle Senior (Julian Neckermann) dort wieder gefunden zu werden…) zur denen der Verzweiflung über Lebenslügen oder Schonungslosigkeit der „Wahrheit“ nicht direkt überzeugend. Auch dass die hereinrollende Tigerente mit einem Brief Hedwigs als solche gleich adressiert wird und die Tochter somit doch eine Gestalt bekommt, ist schade – war die bloße Andeutung ihrer Anwesenheit vielversprechender.

Wenn aber Relling, Gregers, Hjalmar und Gina im Schlussbild nass, vor Wasser triefend, im dämmrigen Licht an der Bühnenkante stehen, wird nochmal ein großartiger Bogen zum Anfang gezogen: die Feierenden sind aufgewacht, oder abgetaucht zum Meeresboden – was sie dort gefunden haben, bleibt dem Zuschauer überlassen.

Ibsens Wildente wird hier auf charmante und durchdachte Weise entstaubt, das harmonische Ensemble überzeugt besonders durch seine Spielfreude und der Dachboden liegt im Keller – alles ist verkehrt, also richtig, oder so.

Regie: Hannah Saar
Bühne und Licht: Sascha Röder
Kostüm: Caroline Redka
Künstlerische Assistenz und Dramaturgie: Carmen Böhm, Katharina Nay
Grafikdesign:Sebastian Hartmann

Es spielen:

HERR WERLE – Thomas Wegler
GREGERS WERLE – David Niederer
DER ALTE EKDAL – Julian Neckermann
HJALMAR EKDAL – Florian Holzmann
GINA – Katharina Nay
FRAU SØRBY – Lisa-Marie Höke
DOKTOR RELLING – Lukas Rehm
MOLVIG – Walter Zweigardt

sowie Tara Marie Dundas-Harper, Dominique Engeldinger, Till Jorde, Sophia Mann, Lukas Muffler, Kristina Neubürger und Marisa Wolf.

Geschlossene Gesellschaft // Keller der kleinen Künste

Konzentriert-reduziertes Tanztheater nach Jean-Paul Sartre

Regie: Dominik Frank, Dramaturgie: Ayna Steigerwald
mit: Teresa Geisler, Marie Golüke, Benjamin Jorns

Konzentriert ist die Erstaufführung dieser Inszenierung in München (nach der Premiere Anfang August in der Vetternwirtschaft in Rosenheim) zu 100%; reduziert ist sie merklich auf existenzielle Minimalbedingungen: nackte Körper, keine Requisiten und dazu der kalte, bloße Kellerboden. Die Zuschauer sind dem Spiel ausgesetzt, zum schauen „gezwungen“, da keine zwei Meter von den Darstellern entfernt. Die Darsteller sind nicht in einem Verlies eingesperrt, sondern von den Zuschauern, die sie ihrerseits zum spielen zwingen. Eine durchaus spannende Theatersituation also.

Zunächst irritiert das „Etikett“ Tanztheater hier etwas. Sicherlich sind es die Körper der Darsteller besonders exponiert durch ihre Nacktheit und jede „Figur“ hat sich ein eigenes Bewegungsmaterial, eine charakteristische Körpersprache angeignet. Dennoch erleben wir in den 1,5 h Aufführungsdauer  vor allem ausgefeilte Betonung, schneidende Laute und wütende Ausbrüche . Wenn die einzelnen Stimmen von Benjamin Jorns, Teresa Geisler und Marie Golüke zeitlich versetzt das erste Mal im Keller der kleinen Künste zu hören sind übertreffen sie die dumpfe Akkustik der Kellerwände sofort und vermitteln eindrücklich die jeweilige Persönlichkeit, die sich hinter den Figuren verbirgt: Joseph, ein von Angst Getriebener („ein Feigling…“), der ein dunkles Ende dieser Gefangenschaft ahnt; Estelle, zu stolz, sich ihrem Gegenüber wirklich zu öffnen; und Ines, eine vermeintlich gefährliche Verführerin, Liebende.

Von Sartres Text sind nur noch Fragmente übrig, doch werden so teils überraschende und irritierende Stimmungen/ Umbrüche geschaffen, die das Gefühl der Orientierungslosigkeit (die Darsteller agieren fast ausschließlich mit verbundenen Augen) unterstützen. Die Figuren sind sich gegenseitig der Folterknecht, scheinen zum leiden gezwungen, müssen sie doch bis ans Ende ihrer Existenz zusammen alleine sein. Besonders in Momenten der Stille gelingt es den Darstellern durch ihre physische Präsenz  die nervenaufreibende Stufe vor einer totalen Eskalation auf uns Zuschauer zu übertragen: sie zittern, kratzen sich nervös, winden sich am Kellerboden entlang – sie sind angespannt, hin- und hergerissen zwischen der Anziehungs- und Abstoßungskraft der Leidensgenossen.

Trotz Momenten der Brutalität, liegt die eigentliche Gewalt (Stärke) der Aufführung darin, dass sie die bis zur äußersten Anstrengung aufgebaute Spannung nicht loslöst oder aufbrechen lässt, sondern einzig die Unerträglichkeit der Existenz erfahrbar macht; ebenso bedeutet konsequenterweise auch das Abnehmen der Augenbinden keine Befreiung für die Figuren.

Ein teils etwas fahriger, aber absolut sehenswerter und bewegender Theaterabend. Schließlich wäre es noch interessant das Verwischen der Grenzen von Tanz-, Sprechtheater und Performance anhand dieser Inszenierung an anderer Stelle zu diskutieren.

Meine Bienen. Eine Schneise // Händl Klaus, Franui

Ein ungewöhnliches Experiment für die Schauspiel-Abteilung der Salzburger Festspiele: eine Uraufführung, gegründet auf der konzeptionellen Zusammenarbeit des Tiroler Dichters Händl Klaus und Franui, einer Musicbanda – ebenfalls aus Tirol, inszeniert von einem noch nicht berühmten französischem Regisseur (Nicolas Liautard), der sich den Text erst übersetzen lassen musste.
Ich war neugierig  – die Vorberichterstattung hatte gute Arbeit geleistet.

Im Foyer des Salzburger Landestheaters dann der für mich eindrücklichste Moment eines Summens (Bienen!), verursacht vom Salzburger Premierenpublikum: Schickeria trifft auf künstlerische Intellektuelle bzw. intellektuelle Künstler, Aufregung mischt sich mit Skepsis, Sunnyi Melles ist auch da.

Während der Aufführung schwanke ich zwischen tiefer Bewunderung („Hier wird gerade ein neues Genre erfunden!“) und enttäuschter Distanz („Wann kommt er endlich…DER Moment?“). Denn den packenden Spannungbogen, die ergreifende Atmosphäre und den übermächtigen Sog, welche die Thematik des Librettos mit dem entsprechenden Leitmotiv haben erwarten lassen, erlebe ich leider nicht.

Aufgeladen mit Sinnbildern, gespickt mit aberwitzigen Wortspielen entlädt sich in Meine Biene. Eine Schneise der urtümliche Konflikt zwischen Mensch und Natur. Für die Figuren ist sie entweder paradiesähnlicher Lebensraum (Kathrin, Brigitte Hobmeier)Fremd- und Sehnsuchtsort (Peter, Stefan Kurt), Albtraum (Lukas, Ein Wiltener Sängerknabe) oder verhasste Heimat (Wim, André Jung) – die ideale Folie für das Spiel um menschliche Abgründe. Händl Klaus liefert hier einen außergewöhnlichen Theatertext (Libretto), der antike Tragödie und schwarzes Märchen, Familiendrama und Ode an die Natur zugleich ist. Seine Geschichte ist schwer zu begreifen (falls er überhaupt eine hat), doch vermittelt er die unheilvolle Ahnung einer Bedrohung -, der Tatort des Walbrands ist nur oberflächlicher Ort des Geschehens: Kathrin verführt Peter, dieser ist jedoch nicht der Vater von Lukas, obwohl der eine richtende Hand so schmerzlich vermisst -, und Wim ist dem Jungen zwar ähnlich, aber auf andere Weise mit ihm verwandt…Menschliche Beziehungen werden erst nach und nach enthüllt und geschärft.

Zwischen schwarzen Baumstämmen und verkohltem Laub (Waldbrand!) auf beiden Bühnenseiten sowie vor einer semitransparenten Projektionsfläche wirkt das Spiel der großartigen Schauspieler zeitweise gehemmt und nur selten kommt es zu befreienden Wortgefechten. Meist sind sie zu sehr darum bemüht die Balance zwischen Sprache und Musik zu finden; wenn dies gelingt – vor allem im Sprechgesang, dann ist es die reinste Freude und die tiefgründige Magie der Worte wird fühlbar.

Der umjubelte Star des Abends ist – wer hätte es gedacht – der 13- jährige Sängerknabe, der mühelos die Mischung aus Alban Bergs Jugendliedern und Franui Eigenkompositions-Stücken umsetzt und dessen hochklare Stimme von einer anderen Welt zu kommen scheint (passend zur Rolle des Kindes als Fremdkörper in der Natur) – allerdings überrascht die Häufigkeit seiner Auftritte und Soli, fügt sich seine Bühnenfigur zu oft nicht in das Spiel der Anderen ein.

Eine Schneise ist zwar auf der Bühne zu sehen – Natur, vernichtet vom Menschen – doch wird sie in dieser Aufführung nicht durch das Publikum geschlagen. So warte ich bis zum Schlussapplaus auf die geniale Idee der Inszenierung, denn ohne sie funktioniert die Zusammenführung von antiker Tragik und Tiroler Familienkrise ebenso wenig wie der Kontrast zwischen artifiziell aufscheinender Bühnenwelt und der besungen-umspielten Kraft der Natur. Das Provokations-Potential des Textes wird verschenkt und das liegt nicht an mangelnder Leidenschaft der Schauspieler oder fehlender musikalischer Rafinesse.

Informationen zur Produktion und weitere Vorstellungen unter:

http://www.salzburgerfestspiele.at/schauspiel/meine-bienen-eine-schneise-2012

JUMPY

von April De Angelis.

Royal Court London, Regie: Nina Raine

 

Erst im Oktober 2011 an gleicher Stelle uraufgeführt, sorgt April De Angelis Familiendrama immer noch für Begeisterungsstürme beim Publikum. Regisseurin Nina Raine bringt den „ganz normalen“ Mutter-Tochter-Konflikt auf die Bühne: 15-jähriger Teenager, der sich ins Erwachsenwerden stürzt, trifft auf 50-jährige Mutter, die gerade tief in der mid-life-crisis steckt.  Austragungsort ist eine weiße, puristische Bühne.

Mit dem Florence& the Machine song Dog days wird das Spektakel eröffnet. Der erste Teil zeigt Hilary (fantastisch: Tamsin Greig), die um Respekt ihrer auf High-Heels herumstaksenden Tochter (Bel Powley) kämpft. Gleichzeitig lässt Ehemann Mark, der sich in der häuslichen Bequemlichkeit sehr wohl fühlt, jegliche Unterstützung vermissen und die beste Freundin Frances (unfassbar komisch: Doon Mackichan) lässt keine noch so extreme Möglichkeit aus, ihre Attraktivität und erotische Ausstrahlung zu trainieren. Hilarys Leben wird zur Achterbahn und zur großartigen Unterhaltung für das Publikum, das mit der nach Wein süchtigen Protagonistin lachen darf und gleichzeitig tief angerührt wird, etwa von der Fehlgeburt Tillys.

Die Absurdität der Ereignisse überschlägt sich im zweiten Teil: Tilly schießt um sich, ein Urlaubswochenende wird zum Horrortrip, Hilary stürzt sich in eine Affäre mit dem Nachhilfelehrer ihrer Tochter und Frances überredet sie zu einem Playboy-Bunny-Outfit. Dies wirkt aber nie lächerlich, sondern markiert jenen Eskalationspunkt, den wahrscheinlich jeder kennt. Alles kann passieren und der Boden unter den Füßen verabschiedet sich. All das verbindet sich in Tamsin Greigs Figur, die sich ihrer feinfühlig und mit genügend ironischer Distanz annähert und dabei einzigartige, weil sehr persönliche, und erstaunliche Identifikations-Verständnis-Erkenntnismomente schafft.

Diese Inszenierung vertreibt schließlich alle dog days und das berühmte Zitat von Oscar Wildes Gwendolyn: Jede Frau wird wie ihre Mutter. Das ist ihre Tragödie. Es muss an diesem Abend abgeändert werden. Es ist eine Komödie, eine ziemlich schöne sogar.

Vorerst das letzte Mal: 19.11.2011, kommt aber im Frühjahr wieder!

UA Mjunik Disco – Stefan Pucher

nach Texten von Rainald Goetz (Rave, 1998), Thomas Meinecke und Andreas Neumeister

16.04.2011, Münchner Kammerspiele, Premiere, Uraufführung, Werkraum.

Im Mittelpunkt eine Musiklandschaft; Keyboard, Bass, E-Gitarre, Schlagzeug, Mikrophone…Eine kreisförmige Spielwiese für die  Akteure Marc Benjamin, Peter Brombacher, Lena Lauzemis, Martin Rühle, Thomas Schmauser, Christopher Uhe und Ivica Vukelic, die mit „Strange Magic“ den lässigen, intelligent unterhaltenden Abend eröffnen.

Stefan Pucher lässt seine Werkraum-Disco-Crew mit Sehnsucht und Belustigung in Anekdoten über die Entstehung der Pop-Kulutur (angeblich in München) schwelgen. Gestalten, Gefühle und Skandale eines vergangenen Nachtlebens werden so liebevoll beschworen, wie spöttisch verworfen. Da ist der Proll in alter Jogginghose, der sich verzweifelt bemüht die Aufmerksamkeit der Discoqueen der Nacht zu erlangen. Da ist die unnahbare Sängerin in weißer Discohose, die eine moderne Welt oder einen letzten Rausch besingt. Es ist ein glitzernder Trip, solange sich die Discokugel eben dreht.

Überraschend und witzig sind die Nachrichtensprecher-Einspielungen (Jo Brauner, aus dem Jahr 1999) – auf zwei großen Leinwänden ausgestrahlt – die z.B. die Finessen der DJ-Kunst oder vergangene/zukünftige Gesellschaftsveränderungen kommentieren. Dem Thema des Abends gemäß darf auch eine pseudo-pädagogische DJ-Akademie nicht fehlen, die den faszinierenden Irrsinn dieser Art von „Musik: Was ist eigentlich Musik?“ pointiert.

München, ein Musikvideo: Höhepunkte dieses Poptheaterabends sind in jedem Fall die musikalischen Einlagen, die nicht nur brilliant vorgetragen sind, sondern die – unterstützt von eigens dafür an bekannten Münchner Stadtschauplätzen (Englischer Garten, Pimpernell…) gedrehten Filmen – dem Zuschauer die Vergangenheit eines Discozeitalters vorführen. So wie sie gewesen sein hätte können, so wie sie präsent wird in der Gegenwart der Theateraufführung.

Zwar ließ sich das Premierenpublikum nicht zum tanzen mitreißen, dafür lauschte man gespannt dem abschließenden, unerwartet ernsten Monolog der Discoqueen über die von der Gesellschaft geprägten Bewusstseins-und Gedankenströme und entdeckte darin viel Wahres.

Musik gehört auch ins Theater. Schon deshalb lohnt es sich, in Mjunik Disco zu gehen und, weil es so gar nichts mehr mit der heutigen Münchner „Partykultur“ zu tun hat.