„Wölfe und Schafe“

Von Wölfen und Schafen, sowie dem sprichwörtlichen Wolf im Schafspelz erzählt die bissige Komödie „Wölfe und Schafe“ des russischen Dramatikers Alexander Nikolajewitsch Ostrowski, das am 27.12. 2014 in der Pasinger Fabrik Premiere feiert.

Die verarmte Gutsbesitzerin Mursawezkaja (im Nebenberuf: Kupplerin und Auskunft in einem) will durch die Heirat ihres jagdwütigen Neffen Apollon mit der reichen, aber naiven Witwe Kupawina ihre finanzielle Misslage beheben. Mit von der Partie: Tschugonow, als  Ex-Mitglied des Kreisgerichts mit vermeintlich allen juristischen Wassern gewaschen, um Kupawina um ihr Geld zu prellen. Hinzu kommen noch ein weiterer Neffe (Spezialgeschäft: Dokumentfälschung), eine verarmte Verwandte auf der Suche nach einem reichen Ehemann, sowie ein bindungsscheuer Richter. Sie alle versuchen sich als Wölfe, um des anderen Geld habhaft werden zu können. Der Gutsbesitzer Berkutow bringt zum Schluss als Wolf im Schafspelz eine mehr oder weniger ungeahnte Wende.

Die Bühne ist mit Kunstrasen bedeckt, auf dem sich in der hinteren Hälfte ein Steg in Form eines orthodoxen Kreuzes. Das Kreuz ist mit weißem Kunstfell bezogen, womit das Bühnenbild einen sarkastischen Kommentar auf die vorgespielte Gläubigkeit der Figuren gibt. Man muss sagen, dass man die Gesamtleistung des Ensembles nicht genug würdigen kann. Margit Carls als Mursawezkaja spielt die intrigante Ehekupplerin mit viel Charme, ohne dabei den nötigen Ernst vermissen zu lassen. Alexander Wagner als ihr trunksüchtiger Neffe Apollon, hat mit französischen Einwürfen und einem imaginären Hund, die Lacher in jedem Fall auf seiner Seite. Andreas Seyferth versucht als Tschugonow verzweifelt, für sich selbst bei den dubiosen Geschäften etwas abzuzwacken, erkennt am Ende als Einziger die Gefahr der Situation. Yasmin Ott und Hubert Bail fungieren in Form der armen Verwandten und des Richters als Buffopaar. Sebastian Kalhammer als Berkutow verkörpert den aalglatten, hinterlistigen Geschäftsmann par exellence, der am Ende alle Fäden in seiner Hand vereint.

„Wölfe und Schafe“ verhandelt die Korruptheit, Gier und die Manipulierbarkeit der Menschen auf sehr sarkastische bissige Art und Weise ohne jedoch mit erhobenem Zeigefinger zu mahnen. Der Zuschauer verlässt das Theater mit dem Gefühl, trotz aller Kritik, einen angenehmen Abend verbracht zu haben.

Informationen gibt es unter http://pasinger-fabrik.com/de/gesamtprogramm/detailansicht-programm-pasinger-fabrik/cal/event/detail/2014/12/27/premiere_woelfe_schafe/view-list%7Cpage_id-1.html

Flucht aus dem Garten Eden – Peter Pichlers „Zurück im Paradies“ in München

Schwere Reiter

Was wurde eigentlich aus der ersten Liebesgeschichte der Menschheit? Nach einem kleinen Unfall mit etwas Frischobst wurden die menschlichen Prototypen Adam und Eva ja bekanntlich von ihrem Schöpfer aus dem Paradies verbannt. Doch wohin führte die beiden ihr Weg?

Diese Frage klärt der Musiker und Regisseur Peter Pichler in seiner neuen Musikthaterproduktion „Zurück im Paradies“, die am 5. Dezember im Theater der Schweren Reiter uraufgeführt wurde. Die Inszenierung basiert auf dem gleichnamigen Roman des Universalkünsterls Funny van Dannen, mit dem Pichler auch zusammenarbeitet. Bereits in seiner utopischen Kammeroper „Bloss a Gschicht“, die 2011 Premiere feierte (wir berichteten), wurden Texte und Songs eines Künstlers – in diesem Falle Hans Söllner – zu einem Theaterabend verwoben. Obwohl das Grundprinzip wieder aufgegriffen wurde, ist dem Zuschauer jedoch vor allem aufgrund des sehr anderen Stils van Dannenes ein völlig anderer Theaterabend geboten.

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Erzählt wird die Geschichte von Adam und Eva, die sich bereits durch die Weltgeschichte gelebt haben und nun einen kleinen Tante-Emma-Laden betreiben. Adam ist jedoch unzufrieden mit seinem Leben und so beschließen die beiden, Gott wieder einmal einen Besuch abzustatten. Der Alte sitzt mit Jogginghose und Morgenmantel über der Tageszeitung und fühlt sich einsam. Er schlägt seinen abtrünnigen Kindern vor, wieder ins Paradies zu ziehen. Doch die beiden haben inzwischen ein eigenes Leben mit Freunden und Familie aufgebaut und wollen dieses – wenn auch schlichte – Dasein nicht aufgeben. Und so kämpfen sie tagtäglich mit den Tücken des Mensch-Seins: Gewalt, Gefühlskälte, Sex und aggressive Waldbewohner, die sich an den Menschen rächen wollen.

Ich persönlich kannte vor der Premiere noch nichts von der Musik des Wahlberliners van Dannen, aber sie ist wieder inhaltlich sehr passend in die Story eingefügt und im Gegensatz zu „Bloss a Gschicht“ mit modernen Instrumenten wie E-Cello, E-Bass oder Trautonium sehr aktuell interpretiert. Die Bandmitglieder fungieren als Engel Gottes in orangem Overall und Wollmützen. Herrlich auch ihr Auftritt als Gitarren-Mundharmonika-Quartett mit Hirschgeweihen!

Neben den Musikern stehen auch drei Schauspieler auf der Bühne, die Gott, Adam, Eva und andere Nebenfiguren darstellen. Der Schauspieler und Kabarettist Stephan Zinner hat schon in der letzten Produktion Pichlers bewiesen, dass er durchaus mehr als nur lustig sein kann. Sein Adam scheint zwar meist sarkastisch und unbekümmert, doch bringen ihn Kleinigkeiten wie ein misslungener Dekorationsversuch aus der Fassung. Auch scheint seine Beziehung zu Eva nicht mehr so glücklich zu sein, wie es vorgesehen war. Sie wird von Anett Krause dargestellt, die mit lautem und selbstbewusstem Auftreten der Figur trotzdem etwas Verlorenes gibt. Sie überlegt eigentlich, ins Paradies zurück zu gehen, doch scheint ihre Pflicht darin zu sehen, bei Adam zu bleiben. Dieser zeigt ihr jedoch immer öfter die kalte Schulter, selbst wenn sie ihm ihre Liebe gesteht. Als sich die beiden einige Zeit aus den Augen verlieren, findet sie eine glücklichere Beziehung. Gott bleibt weitestgehend außerhalb der Beziehung, alleine an seinem Lesetisch. Jochen Striebeck zeigt einen müden, einsamen Gott. In seinem Jähzorn hat er nicht nur seine Kinder, sondern auch andere Begleiter verloren; etwa einem Engel, der auf die Erde verbannt wurde und dort umkam. Immer wieder versucht er daher, Adam und Eva wieder zu sich zu locken.

Trailer

Die Story klingt an sich dramatisch, wird aber immer wieder durch tragi-komische und einfach nur irrwitzige Momente aufgelockert. So wird das Problem erörtert, dass der Himmel mit Meerschweinchen überfüllt ist, die es Petrus angetan haben. Oder dass ehemalige Zirkushirsche Menschen die Hosenträger klauen und daraufhin von den beleidigten Zweibeinern mit Gulasch vergiftet werden. Interessant ist, dass viele Szenen nicht gespielt, als vielmehr als private Gespräche erscheinen. Immer wieder sprechen sich die Darsteller etwa mit ihren echten Namen an. Man kann nicht unterscheiden, ob es nun tatsächlich zur Inszenierung gehört oder wirklich spontan entsteht. All das macht „Zurück im Paradies“ zu einem absurden, nachdenklichen aber auch unterhaltsamen Theaterabend.

Im Schwere Reiter ist die Inszenierung nur noch heute Abend zu sehen, soll jedoch im nächsten Jahr wieder aufgenommen werden. Infos finden Sie auf der Webseite des Regisseurs Peter Pichler und des Theaters.

Peter Pichler

Schwere Reiter

Weihnachten aus einer anderen Perspektive – Das Kinderstück „Ox und Esel“ der Gruppe Südsehen

Einstein Kultur

Wie alle Jahre wieder weihnachtet es in München. An jedem Eck findet mal Christkindlmärkte mit pappigem Glühwein und Christbaumschmuck made in China. Wirkliche Tradition ist rar geworden, doch immerhin im Kindertheater geht es meist noch richtig besinnlich zu.

Eine wunderschöne Interpretation der Weihnachtsgeschichte heißt „Ox und Esel“, stammt aus der Feder des Autors Norbert Ebel und ist derzeit eines der beliebtesten und meistgespielten Kinder-Weihnachtsstücke in Deutschland. Diese herzliche Komödie hat sich auch die Münchner Gruppe Südsehen zum Weihnachtsstück auserkoren, sie wurde jedoch zum Teil von deren Gründer Robert Ludewig ins Bairische übersetzt und von Simone Birkner inszeniert. Heute durfte ich am ersten Spieltag zusammen mit einer aufgeweckten Kindergarten-Gruppe eine der Vorstellungen erleben.

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Aber erst einmal zur Story: In einer kalten Winternacht kommt der Ochse von der Arbeit nach Hause in seinen Stall und freut sich auf sein Abendessen. Doch das stellt sich als schwierig heraus, da in seiner Futterkrippe ein kleines Baby liegt. Der Mitbewohner Esel, der in Sachen Klatsch und Tratsch immer auf dem Laufenden ist, kann das Rätsel schnell lösen. Er hat vom Jesuskind gehört, das in Bethlehem in einem Stall zur Welt gekommen ist und ist überzeugt, dass es ihr kleines Findelkind sein muss. Der Ochse ist nicht begeistert von dem schreienden Eindringling und verlangt vom Esel, dass er das Kleine los werden soll. Dieser bringt es jedoch nicht über’s Herz und als auch noch die Soldaten des bösen Königs Herodes anklopfen, um das Baby mit zu nehmen, beschließen die beiden Tiere, sich gemeinsam um den kleinen Jesus zu kümmern, bis die Eltern wieder kommen.

Wie schon in der ersten Inszenierung der Gruppe, Schillers „Kabale und Liebe“, spricht auch hier mit dem Esel nur ein Teil der Figuren Bairisch. Dies funktioniert sehr gut, weil die Figur durch den Dialekt automatisch warmherziger wirkt, als der auf hochdeutsch schimpfende Ochse. Außerdem passt das gelegentliche „I aa“ (also „Ich auch“) des Esels im Dialekt einfach perfekt zum Esel. Leider bewies sich in der von mir besuchten Vorstellung mal wieder, dass viele der Kinder die bairische Sprache nur noch schwer verstehen. Eine traurige Entwicklung. Trotzdem fieberten die jungen Besucher mit den Protagonisten und versuchten den verdutzten Stallbewohner mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Die beiden Schauspieler Robert Ludewig als Esel und Thomas Roon als Ox gingen auch sehr gut auf die Kinder ein, wohl eine der schwierigsten Herausforderungen im Schauspieler-Beruf. Beide Herren spielen mit Herz und Seele und schaffen es, ihren Figuren sowohl tierische als auch liebenswerte menschliche Züge zu verleihen. Der Ochse ist aufbrausend und laut, der Esel listig aber schnell eingeschüchtert. Durch viele Slapstick-Einlagen und großen Momenten der Freundschaft packen die beiden nicht nur die Kinder im Publikum.

Das Bühnenbild ist recht schlicht gehalten. Der kleine Stall besteht nur aus Brettern und ein wenig Stroh. Aber das reicht völlig aus, die gemütliche Atmosphäre eines Stadels darzustellen. Sehr interessant sind die Kostüme, die ebenfalls von Aylin Kaip stammen. Die beiden Protagonisten sehen mit heruntergekommenen Klamotten auf den ersten Blick aus wie Obdachlose, aber durch die Farbwahl und kleine Details wie einer grauen Krawatte als Eselsohren und vor allem viel kindlicher Fantasie werden aus den Schauspielern natürlich die Titelhelden. Eine super Idee!!

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Man muss kein Kind sein und auch keine Kinder dabei haben, um an dieser beherzten Inszenierung großen Spaß zu haben. Selten bekommt man die Weihnachtsgeschichte aus dem Blick der „Helden im Hintergrund“ erzählt und es lohnt sich auf jeden Fall. Nicht zuletzt wegen dem passenden und erfrischenden Umgang mit dem bairischen Dialekt!

Die Spieltermine im Einstein Kulturzentrum und im Vereinsheim der Freunde der Vorstadt AU sind bald auf unserer Veranstaltungsseite und auf der Webseite der Gruppe zu sehen!

Südsehen

Neue Journalisten für THEATER TO GO gesucht!

Seit 2011 gibt es den Studentenblog THEATER TO GO aus München!
Ab sofort suchen wir neue Kritiker, Journalisten, Studenten, Kulturinteressierte, die für den Blog schreiben möchten.
Wir arbeiten mit vielen kleinen Theatern in München zusammen u.a.
Teamtheater Tankstelle, i-camp, Rationaltheater, Haus der kleinen Künste, theater…. Und so fort, Pasinger Fabrik etc.
Wir haben auch Partner in Berlin und Hamburg, Landshut und Augsburg.
Neue Kooperationen sind ebenfalls möglich, falls ihr Vorschläge oder Ideen habt.
Du kannst dem Blog deine eigene Note geben, durch deinen eigenen Schreibstil und deinen persönlichen Geschmack. Jeder ist eingeladen sich auszuprobieren und zu schreiben was er denkt.
Wenn ihr Interesse habt, schickt uns eine Mail und ein paar Sätze zu euch!
theatertogo@gmx.de

Blog: http://www.theatertogo.wordpress.com
Facebook: https://www.facebook.com/theatertogo

Internationales Sommerfestival auf Kampnagel!

Drei Wochen findet das Internationale Sommerfestival auf Kampnagel statt! Neben Performance, Konzerten und Konferenzen kann man hier den AVANT-Garden nur sehr empfehlen. Ein bunter Festivalgarten in buntem Licht getaucht. Mittendrin eine kleine Rote Flora (Kanalspielhaus) in der abends ein DJ auflegt und eine Bar  zu finden ist. Es gibt Burger und Würstchen und eine pinke Riesenschaukel.

Meinen Auftakt beim Sommerfestival hatte ich mit der Senegalesischen Band Jeri Jeri um Berliner Techno-Pionier Mark Ernestus.  Der Club war gefüllt und das Konzert wurde eine Mischung aus afrikanischen Rhythmen und Tänzen, Trommeln, Gesang und lateinamerikanischen Einflüssen. das Publikum, am Anfang noch sehr zurückhaltend wurde irgendwann von der Musik mitgezogen und tanzte zum Schluss mit der Band auf der Bühne. Wie ein Ritual steigerte sich dieser Abend und die Musik zog einen mit. Der Gesang tat sein eigenes um zum Trancehaften Rhythmus beizutragen und man konnte sich so wunderbar darin fallen lassen. Die Krönung bildete eine Tänzerin, die das Publikum aufheizte und deren Bewegungen eine Mischung aus verschiedenen Tanzstilen waren. Danach brauchte man erst mal ein paar Minuten um wieder zu merken, dass man in Hamburg ist.

An einem Sonntagmorgen ging ich zur Abschlussdiskussion der Konferenz FANTASIES THAT MATTER.IMAGES OF SEXWORK IN MEDIA AND ART. Eine Konferenz mit der Künstlerin und ehemaligen US-Pornodarstellerin Anni Sprinkle. Da ich die beiden vorherigen Tage nicht in Hamburg war, konnte ich mir nur den Abschluss der Konferenz anschauen. Gleich zu Beginn beschwerten sich die Sex-Workers aus den USA, dass zur Konferenz keine ansässigen Sex-Worker aus Hamburg dabei waren. Der Hauptgrund war auch, dass die Konferenz auf Englisch gehalten wurde und die wenigstens der Sex-Worker in Hamburg Englisch sprechen. Die Diskussion drehte sich um Sex-Worker und Kunst. Warum Prostituierte häufig zu Künstlern werden? Weil sie sich hier ausdrücken können, hier werden sie gehört und man interessiert sich für ihre Anliegen. Würden sie einfach zu einem Politiker gehen wollen, wäre Ihnen der Weg versperrt. Eine Interessante Diskussion mit vielen Zwischenkommentaren von Sex-Workern. Das Einzige Merkwürdige: Es durften nur Sex-Worker etwas sagen, wir anderen wurden als bloße Zuschauer aus der Diskussion ausgeklammert. Da stellt sich die Fragen WARUM? Wäre eine Diskussion in der alle etwas sagen dürften nicht viel interessanter? So waren es ergreifende Thesen, Argumente und spannende Fakten der Sex-Worker, aber eine Diskussion war das leider nicht.

Mein persönliches Highlight war Situation Rooms von Rimini Protokoll. Schon oft hatte ich über sie gelesen, Videos geschaut und über ihre Arbeiten recherchiert, aber noch nie hatte ich sie live erlebt. Der Ausgangspunkt für dieses Multi-Player-Video-Stück war ein Foto, welches 2011 um die Welt ging. Es zeigt 13 Personen die im Weißen Haus dabei zuschauen, wie auf dem Bildschirm vor Ihnen die Jagd nach Osama Bin Laden beendet und er exekutiert wird. Dieses Foto regte die Gruppe dazu an, sich mit dem Thema Waffenhandel und dessen Auswirkungen zu beschäftigen. Rimini Protokoll arbeiten dokumentarisch und tauchen in dieser Performance nicht persönlich auf. Sie versammeln „Experten des Alltags“ und versuchen somit dem System auf die Schliche zu kommen. Im Konkreten heißt das, dass in der Vorhalle bei Kampnagel ein riesen Raum gebaut wurde. Mehrere Zimmer und Situationen befinden sich darin. Der Zuschauer wird zum Akteur und bekommt einen I-pad mit Kopfhörer in die Hand gedrückt, stellt sich vor eine Tür und sobald die Hand auf dem Bildschirm die Tür aufmachst, machst du sie auch auf. Dann der Name eines Kartellanführers auf dem Bildschirm. Er ist der Boss eines Drogenimperiums und erzählt seine Geschichte, wie er durch Waffengewalt alle seine Leute verlor. Teilweise griff er selbst  zur Waffe, teilweise waren es andere. Man ist in dem exakt gleichen Raum wie er auf dem Bildschirm gezeigt wird. Ich befinde mich in einem kleinen Raum aus Stein an deren Wände die Totendaten der Personen angeschlagen sind. Dann geht es weiter. In den nächsten Raum. Im Laufe der 90 Minuten, lerne ich den Chef der Deutschen Bank kennen, die mit unserem Geld den Waffenhandel unterstützen. Lerne Aktivisten kennen, die alles daran setzten das Deutschland nicht mehr der drittgrößte Waffenlieferant in die Welt ist. Verfolge das Schicksal eines Syriers, der nach einem Angriff behindert ist und nun in Libyen leben muss und sich das Schicksal seiner Freunde auf Facebook ansieht, und reise mit einem Deutschen Arzt im Auftrag von Ärzte ohne Grenzen nach Afrika. In einem stickigen weißen Sanitätszelt bin ich erst Arzt, dann Patient. Im Schrank findet man Bilder von Menschen deren Oberlippe von Bomben abgerissen wurde. Er hat sie wieder angenäht. Als Patient habe ich eine Schusswunde im Bein und bekomme eine gelben Punkt auf die Hand geklebt. Die Schusswunde ist nicht akut und ich muss warten. Auf der anderen Seite sitze ich in Konferenzsälen und beschließe die nächste Waffenlieferung und betreibe Waffenhandel. Auf der Saudi-arabischen Messe für Waffenhandel finde ich heraus, dass Deutschland seine Finger überall drin hat. Unsere Kameras sind an Drohnen montiert, Waffen sind aus Deutscher Herstellung. Es gibt sogar einen Waffenkatalog. Man kann hier Problemlos alles bestellen. Fast als letztes sitze ich in Indien in einem Raum und bediene den Schaltknüppel für eine Drohne. Es werden Terroristen in den Bergen gesucht. Und die Stimme in meinem Ohr „Es ist so einfach. Man drückt einfach auf den Knopf und das Haus wird bombardiert. Und danach geht man Kaffee trinken.“ Es ist erschütternd, dass wir Menschen gleichzeitig und zerstören und uns helfen. Der ewige Kampf ums Überleben hat ihm 21. Jahrhundert völlig neue Formen angenommen. Und die Erkenntnis nach dieser Rundgang: Man ist beteiligt. Ob man will oder nicht. Allein damit, dass wir unser Geld bei Banken anlegen, die unser Geld benutzen um es in der Rüstungsindustrie anzulegen. Und wir müssen unser Geld auf ein Konto packen, sonst bekommen wir keine Arbeit, keine Wohnung etc. Nach Amerika und Russland sind wir der 3.! größter Waffenlieferant. Heißt das unsere gesamte Wirtschaft würde zusammenbrechen, wenn wir keine Waffen mehr ins Ausland exportieren und herstellen? Fakt: Es gibt nur wenige kleine Banken, die unser Geld nicht in die Rüstungsindustrie oder die Forschung und Entwicklung für Waffen stecken. Wie kann es sein, dass ein Land so etwas tut und im gleichen Atemzug Massen an Flüchtlingen aufnimmt. Ist alles einzig ein System der Macht und des Geldes? Und die Humanität ist nur geheuchelt?

Wer immer die Möglichkeit hat, bei diesem Rundgang mit dabei zu sein sollte es tun! Ein wichtiger Beitrag und eine neue Offenlegung von Prozessen, was uns bzw. mir vorher nicht bewusst war. Von Mitte Dezember bis Anfang Januar gastiert die Arbeit in Berlin.

Als die Newcomer in der Tanzszene gehandelt waren die ehemaligen Studenten der Amsterdamer School for New Dance Development mit ihrem neuen Stück Wellness zu Gast.  Florentina Holzinger & Vincent Riebeek plus Ensemble zeigten den Abschluss einer Trilogie, die sich um Themen wie Popkultur, Schöhnheitswahn etc. drehten. Zu Beginn eine Gruppenchoreographie waren alle in schrillen, glänzenden Kostümen wie aus Sportvideos der 80er, in der Hand hielten sie Modezeitungen, grell geschminkte Gesichter erinnerten auch der Tanz an eine Aerobic Stunde oder Yoga/Pilates. In der Mitte eine Frau mit Megabrüsten, die auf einem Teppich voller Scherben liegt. Sie wird später in dem bösen Spiel die, die alle antreibt, die wertet, die urteilt, die herausfordert und die, die immer die anderen schwitzen lässt. Man stellt sie auf und sie muss über die Scherben gehen. Dabei schaut sie souverän, lässt sich die Schmerzen nicht anmerken. Ein Sinnbild für den Schmerz, den wir uns freiwillig antun um Schön zu sein, Anerkennung zu bekommen, ein Guru zu werden. Sie ist der Guru in dieser Performance. Soweit zum ersten Bild. Der Körperkult geht weiter. Das zweite Bild zeigt eine orgiastische Sexszene. Lauter Electrosound, Discolicht von hinten und Nebel, sodass nur noch die Umrisse der Körper zu sehen sind. Es ist wunderbar orgiastisch, verschwenderisch und zerstörend. Man kann hier eine Kritik am Körperkult unserer Zeit sehen, die diese ganze Arbeit auf jeden Fall ist, aber man kann diese bestimmte Sequenz auch als Aufforderung verstehen, sich dem Leben mehr hinzugeben. Im dritten Bild geht es dann zur Arbeit an der Seele und der Überwindung von Scham. Erst wälzen sie sich in Sand und dann soll jeder vorsingen. Es wird ermutigt und gleichzeitig gedemütigt. Der unerbittliche Guru hat sich in die erste Reihe gesetzt. Ein Zuschauer musste weichen. Der Kreis schließt sich mit der Anfangschoreographie. Tosender Applaus. Was für eine Tanzperformance. Sie haut einen voll weg. Und die Frage am Schluss: Tun wir uns das alles wirklich freiwillig an? Und warum? Warum biegen wir unseren Körper und unseren Geist so sehr, gestalten ihn um und formen ihn? Nichts gegen Sport und psychische Beratung, wenn man sie nötig hat, aber wir stutzen uns zu Recht und vergessen dabei wer wir sind. Aber wer sind wir eigentlich? Diese Inszenierung zeigt auf jeden Fall die unerbittliche Suche nach unserem wahren Ich, so wie wir es gerne hätten.

Als Abschluss des Sommerfestivals ging ich zu KID KOALA und seinem Stück: Nufonia Must Fall, obwohl Stück hier das falsche Wort ist. Kid Koala ist ein Tunrntablist und Nufonia Must Fall ist eine Graphic Novel, die er veröffentlicht hat. Beides mixt er zusammen und heraus kommt eine an dem Abend abgefilmte, inszenierte Graphic Novel mit Live-Musik. Die Hauptprotagonisten waren kleinen Figuren, ähnlich wie in einem Puppentheater. Eigentlich ist es eine neue und Moderne Form des alten, guten Puppentheaters. Sozusagen eine Weiterentwicklung der Augsburger Puppenkiste, nur das hier die Puppenspieler nicht von oben die Marionetten zum Leben erwecken, sondern von unten. Es waren vier kleine Filmsets aufgebaut und die Spieler saßen unten den Filmsets, die Figuren an mehreren Stäben und los ging die Geschichte. Eine Kamera übertrug die Aufnahmen auf eine große Leinwand die von der Decke hing. Es war faszinierend. Man sah gleichzeitig wie der Film gemacht wurde und konnte das Ergebnis im selben Moment auf der Leinwand sehen. Mit viel Liebe zum Detail waren die kleinen Filmsets ausgestattet und die Spieler agierten fast Wortlos, sodass den Protagonisten des Abends alle Aufmerksamkeit geschenkt werden konnte. Die Story ist schnell erzählt. In einer Welt in der Roboter und Menschen Seite an Seite leben, wird ein kleiner Roboter gefeuert und durch einen besseren mit acht Armen ersetzt. Kurz zuvor hat er eine wunderschöne Frau im Fahrstuhl kennen gelernt und sich in sie verliebt. Als er gefeuert wurde fängt er in einem Burger-Laden an, aber auch da wird er durch den 8-Armigen Roboter ersetzt, da der nun mal schneller ist. Zwischendurch war die Frau da und er hat ihr mit Liebe ein kleines Sandwich zubereitet. Der 8-Armige Roboter ist zwar schnell, aber es steckt eben keine Liebe in den Dingen die er tut. Der kleine Roboter schreibt einen Love-Song für die Frau und als er vor dem Burger-Laden steht und es ihr durch die Scheibe vorsingt, wird er von einem Auto angefahren. Sie kümmert sich rührend um ihn und schon bald werden sie ein Liebespaar und wollen in die Ferien fliegen. Doch dann entdeckt der kleine Roboter, dass die Frau eine Wissenschaftlerin ist die den 8-Armigen Roboter gebaut hat, der ihm alle Jobs gekostet hat. Er flieht. Natürlich gibt es ein Happy End und sie versöhnen sich am Flughafen. Eine rührende kleine Geschichte. Die „Filmmusik“ wurde die ganze Zeit von einem Orchester live gespielt, welches mit auf der Bühne saß und Kid Koala machte die übrigen Geräusche. Für manche war die Geschichte zu kitschig, ich fand es eine gute Abwechslung zu dem “ ganzen krassen Zeug“ was sonst noch so auf dem Festival zu sehen war.

Abends ging es dann immer in den Festival-Garten und/oder ins Kanalspielhaus. Hier traten Bands auf und man konnte wunderbar den Tag ausklingen lassen. Im Garten gab es eine kleine Installation und die Volkstanz Heute-Gruppe zeigte ihre Arbeit, welche jedoch kaum Beachtung fand. Auch ich schaute nicht hin, da ich dieses Projekt von Kampnagel nicht sonderlich spannend finde. Traditioneller Volkstanz soll hier neue Beachtung finden. An sich gut, doch irgendwie hat es an diesem Abend keinen interessiert. Trotzdem konnte man sich in diesem Garten Stunden aufhalten. Alles in allem ein sehr schönes internationales Sommerfestival 2014!

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Performance-Festival „Isarsprudel“ in München. Dieses Wochende!

copyright: Julia Schiefer

Wehende Bahnen von weißem Stoff, die vom Fluß getränkt werden. Daneben tanzen Menschen Tango. Eine Frau idealisiert sich im virtuellen Raum, eine andere zieht mit rauchendem Kohlegrill als Pudelersatz und einem umgeschnallten Wurstpenis vorbei. Am kommenden Freitag fällt zum dritten Mal der Startschuss für das Performance-Festival „Isarsprudel“.

Zwischen Deutschen Museum und Corneliusbrücke hat Martin Jonas und sein Team 11 Künstler_Innen aus verschiedenen Städten versammelt, die den Raum in den Isarauen bespielen. Ob situative Begegnungen oder Anstoß zum Nachdenken, ob Irritation oder Demonstrationen, ob spielerische Transgression oder Verfremdung über Übersetzung: An diesem Wochenende experimentieren Künstler_Innen mit dem ihnen Zuhandenen und an den Grenzen sozialer Räume.

Die Renaturierung der Isarauen wurde 2011 abgeschlossen. Seitdem dient das Stück des Isarufers als Erholungs- und Freizeitort, als Treffpunkt und Vergnügungsort. Dieses Jahr will Jonas die Isarauen als Grenzort verstanden wissen. Jenseits der urbanen Erholungskultur trifft man hier auch auf ambitionierte Projekte, z. B. der selbst gepflanzten Blumenbeeten auf der Corneliusbrücke. Und man trifft hier auch auf einen Ort sozialen Ausagierens von Lebensproblematiken und auf soziale Brennpunkte.

Alle der von Jonas und seinem Team ausgewählten künstlerischen Interventionen befassen sich in irgendeiner Weise mit dem konkreten Raum, der Isar, und im weiteren Sinne mit dem Raum München. Und allen Positionen ist gemein, dass sie den Raum durch verschiedenste Evokationen und Aktionen deutlich machen wollen.

Man setzt sich Kopfhörer auf und schlägt sich durchs Dickicht. Man entdeckt Leerstellen, sowohl Freiräume zwischen den gut besuchten Wegen als auch solchen, die sich zwischen gedanklichen Routinen finden. Eine Demonstrationen für das Nichtstun verfängt sich absichtlich im Paradox. Assoziieren, Erweitern, Lachen, auf dem Floß aus Treibgut sitzen, Spielen und Experimentieren.

Auch wenn Kunst im öffentlichen Raum dazu tendiert hierarchische Strukturen einzuebnen, hat sie bei „Isarsprudel“ auch die Chance konventionalisierte Spartialräume aufzubrechen und zu öffnen. Es wird sich zeigen, inwieweit das Projekt am Isarufer, an dem auch das icamp-Theater beteiligt ist, gelingt. Jedenfalls hörte ich, als ich vom Pressetreffen wegging, seit langem mal wieder das Rauschen der Isar. Die schwächer und stärker werdenden Geräusche der Flußbrandung wurden durch das Smartphone an meinem Ohr weniger oder stärker kanalisiert. Das harmonierte wunderbar mit der Mittagssonne.

Das Programm kann man auf der Weblog von „Isarsprudel“ einsehen.

AKT – tracing, remembering, finding poses from Venus, Olympia and us

Wieviel „nackt“ ist nackt?

Ich schaute drei Künstlerinnen zu. Sie loteten aus, in welchen Posen der weibliche Akt sich darstellt und legten dabei das Handwerk des Aktmodells frei.

„Unter fünf Prozent der im New Yorker Metropolitan Museum ausstellenden Künstler sind Frauen. 83 Prozent der dort gezeigten Akte sind weiblich“, so lautete 1989 der Leitspruch der New Yorker Künstlerinnengruppe Guerilla Girls. Judith Hummel hat dies mit drei Protagonistinnen unterschiedlichen Alters auf der Bühne der Galerie der Künstler in München weitergeführt und nichts entdeckt, sondern verzeichnet. Hummel erstellte ein weitläufiges Adressbuch verschiedener bekannter und unbekannter Posen von Akten, von Venus und Olympia zu uns.

Vorbei an Collagen, an Bilder und Trypticha, auf denen Stars und Sternchen in einem infernalischen Farbenspektrum nebeneinander stehen und ein wenig an Krieg zwischen Pornozeitschrift und Grabenkampf erinnern. Man muss lange warten bis man Einlass erhält, der auf nur 25 Personen beschränkt ist und in deren Ermessen es liegt, wieviel Zeit sie in dem abgetrennten Raum der Performance verbringen. Eine kurze Schonzeit verlängert das Warten, denn es wird ein etwa dreiminütiger Puffer zwischen den gehenden und kommenden Gästen eingehalten. Ich warte in der Vorhalle, in der eine Baustelle mit vielen Bildschirmen und Projektionen Urlaubsvideos zeigt, die teilweise mit nicht auf den ersten Blick erkennbarem, fremden Videomaterial überlagert sind. Endlich werde ich durchgewunken, und ich betrete einen kleinen Raum, in dem stark rhythmisierte, runtergedimmte, elektronische Musik läuft und eben nur zwei Frauen nackt auf hüfthohen, hölzernen Elementen posieren.

Ich schaue im hellen Licht der Deckenlampen auch hier der minutenlangen Posen der Frauen zu. Ein Spiegel ist ihnen gegenüber angebracht. Als ich reinkomme hält die Jüngere den Fuß der Älteren, die fortzukommen trachtet. Natürlich stilisiert. Die Jüngere lässt ohne große Erzählung den Fuß los und setzt sich an das andere Ende der Bühne auf den Rand, mit angezogenem Bein, und blickt in den Spiegel. Die Ältere beginnt, die Elemente zu verschieben. Dann kommt die dritte Frau hinzu. Sie setzen sich alle gemeinsam, wie in Chor, in die halbe Hocke und vergraben ihre Finger in einen Spalt, der durch das Hin- und Herrücken der Elemente entstanden ist. Die Performance soll drei Stunden dauern.

Auf  diese Weise schreibt sich die Performance AKT ein in den Gender-Diskurs. Sie versucht keine Position darin zu finden, ist nicht auf der Suche nach Argumenten, sie meckert nicht, klammert nicht, klaut oder provoziert, sondern exemplifiziert anhand der Katalogisierung möglicher Bewegung eines Aktmodells. Es ist nicht eine solche Nacktheit, die etwas außerhalb ihrer will. Kein Femen, keine Milo Moiré, die 2014 auf der Art Cologne bei klirrender Kälte nackt mit Farbe gefüllte Eier aus ihrer Vagina presste. Es ist nicht Valie Export und ihr Busen-Tastkino. Es ist Archivierungs- und Textarbeit, die uns da präsentiert wird; es ist das Handwerk des Aktmodells – und wir durften zugucken.

Drei Frauen verschiedenen Alters gefrieren in unregelmäßigen Abständen auf einer beweglichen Bühne aus drei Stücken in verschiedene bekanntere und unbekanntere Posen. Schmachtendes Seufzen wechselt sich mit Unterwürfigkeitsgesten ab, gefolgt von nachdenklicherem Knien, etc. Wir zählen innerlich mit: Boticelli, Gerhard Richter, Patricia Watwood. Alles kein Geheimnis. Die drei Modelle betrachten sich im Spiegel und um in das Kabinett zu kommen, muss man um einen metallisch glänzenden Plastikchip anstehen.

@Judith Hummel
@Judith Hummel

Doch es bleibt auch bei offener Werkstatt die Frage zurück: Ist die Geschwätzigkeit der Nackheit bereit, inventarisiert und typisiert zu werden? Oder wird das Geschäft des Aktmodells, was man doch gemeinhin als Notbehelf versteht und nicht als Berufung, durch den realistic-turn-Fleischwolf ins Museale gedreht? Ein wenig und doch nicht. Die Musik von Klaus Janek legt einen langsamen Rhythmus vor, um jede Pose zu verfolgen, zu erinnen und zu finden. Der Raum muss auch gar nicht vibrieren, denn durch den Chip hat man sich nicht ins Erotik-Automaten-Versatz-Kino eingekauft (was in seltsamen Kontrast zum Rest der Ausstellung steht), sondern einen Pfand erhalten, der zum Auslös einer – im Durchblättern eines Posenkatalogs – Bewusstmachung einer Machtstruktur und ihrer Verteilungsstrategie dienen soll.

Doch eins will mir zuerst nicht in den Kopf: Warum darf dann nur eine begrenzte Zahl in den Zuschauerraum? Weil man in der Masse die Einzelidentität verliert und zu sehr sich selbst überlassen ist, Herr in eigenem Hause werden könnte? Dieses Selbst ist nämlich eigentlich und grundsätzlich durch Geschichte geschrieben. Es geht, meiner Meinung nach, nicht darum, den „nackten Körper anzunehmen“, wie es in der Ausstellungsankündigung heißt, sondern ihn dort abzuholen, wo er seiner Zeichenhaftigkeit bewusst wird. Insofern muss ich anfügen: Die Performance war das Einüben der Nacktheit, man durfte bei den Leibesübungen eines Berufes beiwohnen. Vielleicht war sie nicht „nackt“ genug.

Weitere Termine sind:

Freitag, 18. Juli 15-18 Uhr
Samstag, 19 Juli 15-18 Uhr
Dienstag, 29. Juli 15-18 Uhr
Mittwoch, 30. Juli 19-22 Uhr (Finissage)
Ort: Galerie der Künstler
Maximilianstraße 42, 80538 München

facebook / homepage der BBK

„AKT“ mit Naïma Ferré, Ruth Geiersberger, Heidi Schnirch 
Konzept & künstlerische Leitung Judith Hummel
Sound Klaus Janek
Podestdesign Katrin Schmid
Licht Charlotte Marr
Produktion & Dramaturgie Anna Donderer 
Fotografie Cordula Meffert 
PR Rat&Tat Kulturbuero
Flyergestaltung Ingeborg Landsmann, Judith Hummel

Improcup-Finale 2014

Die Unrasierten Gentlemen vs. Bühnenpolka

Ganz viel Liebe und Harmonie gab es am Samstag beim Finale des Fastfood Improcup 2014 zu sehen und zu spüren. Obwohl der im Scheinwerferlicht glänzende Pokal letztlich nur von einer Gruppe mit nach Hause genommen werden kann, forderte das Publikum immer wieder gleich viele Punkte für beide Teams und sicherlich gingen viele mit einem lachenden und einem weinenden Auge nach Hause. Lachend in Gedanken an die vielen großartigen Momente des Abends und aus Freude über den Sieg der „Unrasierten Gentlemen“ von Impro Berlin, weinend darüber, dass „Bühnenpolka“ aus München trotz vieler wunderbarer Szenen als Verlierer aus dem Match hervorgingen.

Auch auf der Bühne war love in the air, es wurde viel geknutscht, vor allem auf Seiten der Gentlemen, und als Tobias Zettelmeiers (Bühnenpolka) Mikrophon den Geist aufgab, sprang Kjel Fiedler (Unrasierte Gentlemen) ihm kurzerhand bei und schob ihm seines unters Hemd, während Musiker Michael Gumpinger romantische Melodien auf dem Klavier dazu spielte. Natürlich gab es nicht nur Liebesszenen, wie einen Heiratsantrag nach Sprung vom Eiffelturm oder den improvisierten Zirkusfilm „Unterm Trapez“, in dem die Akrobatin sich endlich dem geliebten Zirkusdirektor in die Arme werfen kann. Da war zum Beispiel auch die Katze Minka, die bei Großmutters 80. Geburtstag unglücklicherweise zwischen Großmutter und Tischkante eingeklemmt und dann auch noch von einem Messer am Kopf getroffen wird, woraufhin die Großmutter einen Schock erleidet und Minka ins Grab folgt. Oder die verkorkste Familie, in der Vater und Mutter nicht nur den Bruder des Mannes sondern auch noch den eigenen Sohn lebendig im Kies begraben.

Auch wenn der Improcup 2014 nun zu Ende gegangen ist, kann man sich schon aufs nächste Jahr freuen. Im Januar 2015 geht es wieder los, auf die Teams darf man noch gespannt sein!

„Du bist ein heimatloser Gedanke“- Eine teuflische Reise durch Raum und Zeit

Das Künstlerkollektiv Rohtheater (Bülent Kullukcu / Dominik Obalski / Anton Kaun) lädt in seinem aktuellen Projekt „Propaganda-oder Der geheimnisvolle Fremde“ den Zuschauer auf eine transzendente Geisterfahrt durch Raum und Zeit ein.

Die Mischung eindringlicher Videoprojektionen und experimenteller Klangwelten, die mitunter live erzeugt und projiziert werden, lösen durch die transparente Arbeitstechnik des Live-Happenings

das Bewusstwerden der eigenen Sinnlichkeit aus.

Basierend auf Texten des Public- Relation Papstes Edward Bernays sowie Mark Twains postum veröffentlichtem Roman „Der geheimnisvolle Fremde“ wird ein hoch philosophischer Bogen der Menschheitsgeschichte gespannt. Es werden Mechanismen der Massenmanipulation durchleuchtet, die das Wesen des Menschlichen in seiner Funktions-und Reaktionsweise auf eine triebhafte Ebene herabwürdigen. Der Mensch in seiner gefühlten Überlegenheit, Schöpferkraft und Vielfältigkeit schrumpft auf ein von „Meinungsführern“ gesteuertes, subjektiv wahrnehmendes Mängelwesen.

Jenseits von Gut und Böse, wird dem Zuschauer die Notwendigkeit der Massenmanipulation als Bestandteil demokratisch propagierter Herrschaftssysteme vor Augen geführt.

Der Zuschauer wird Zeuge eines Spiels mit den Perspektiven. Die Akteure führen uns in fremde, mikroskopisch kleine Welten ein, selbst gestaltete Geldscheine werden zu einem wichtigen Gegenstand der Untersuchung – faszinierende Bilder entstehen. Das Kollektiv übersetzt den Mikrokosmos in makrokosmisch projizierte „Bewegtbilder“.

Wissen und Glaube, Verstand und Gefühl, Führer und Geführter, die Macher reiben sich an dem menschlich konstruierten, dualen Weltbild.

Die Angst vor dem Unbekannten, die Ablehnung des Andersartigen verdeutlicht die Begrenztheit der menschlichen Erfahrungswelt. Vom mittelalterlich unaufgeklärten Druckergesellen bis zum vermeintlich gebildeten und mündigen Staatsbürger: Wer kann sich propagandistischen Strukturen entziehen?

Die seit jeher existente, sich in ihrer Erscheinungsform wandelnde Macht der Medien, ob Wort, Bild, oder Schrift, scheint kulturell allumfassend.

Die technisch äußerst beeindruckende Umsetzung sowie der Miteinbezug des Zuschauerraums als Projektion unserer Selbst, lässt den Zuschauer zum Mitreisenden wachsen mit dem Appell an die Eigenverantwortung, denn, um Satan zu zitieren: „ Es gibt kein anderes Leben“.

Pavlović & Pößnecker

Persönlicher Musiktipp zur Einstimmung:

 

Die Sprachen der Gesellschaft – „Kabale und Liebe“ der Gruppe Südsehen

Einstein-Kultur München

„Kabale und Liebe“ gehört vermutlich zu einem der meist-inszenierten Stücke in der deutschsprachigen Theaterwelt. Wahrscheinlich kennt auch jeder – zumindest aus dem Deutschunterricht – die Geschichte um Luise und ihren Ferdinand, den Konflikt zwischen dem Bürgertum und dem Adel, zwischen Vater und Sohn… Ich selbst habe schon drei – auch qualitativ – völlig unterschiedliche Inszenierungen des Stücks gesehen, gestern folgte Nummer vier.

Bereits im März feierte Kabale und Liebe – Ein bayerisches Trauerspiel im Einstein-Kulturzentrum Premiere, nach einer Pause wird es nun nochmals gezeigt. Die neugegründete Gruppe Südsehen um den Regensburger Schauspieler und Regisseur Robert Ludewig nimmt sich den Kontrast zwischen den bürgerlichen und adeligenKabale 2 Figuren zum Schwerpunkt und zeichnet diesen vor allem mit großen sprachlichen Unterschieden. Die Bürger sprechen im bairischen Dialekt, die Adeligen in der schiller’schen Hochsprache. Dieser naturalistische Touch verfehlt seine Wirkung nicht: die Differenzen zwischen den Ständen wirken noch größer, als es in der Textvorlage aus dem 18. Jahrhundert der Fall ist. Dabei sind die Bayern in dieser Inszenierung keinesfalls humoristische Figuren, wie es häufig bei „Übersetzungen“ von Klassikern ins Bairische der Fall ist. Gerade der Musiker Miller (Erwin Brantl, der auch die bairischen Passagen des Stücks verfasste) ist die menschlichste Figur dieser Inszenierung und seine Sprache verdeutlicht, dass er nicht einen künstlichen Schein aufrecht erhalten will wie viele Mitmenschen.

Auch Luise (Désirée Siyum) und Sekretär Wurm (Robert Ludewig) sprechen Bairisch, jedoch wechseln sie je nach Situation und Ansprechpartner zwischen Dialekt und Schriftdeutsch. Luise etwa redet mit ihren Eltern Bairisch, wenn sie jedoch mit oder über Ferdinand spricht, verwendet sie die Sprache Schillers. Wurm hingegen scheint seine Sprache zu benutzen, um in Bürgertum und Adel gleichermaßen akzeptiert zu werden und sein Gegenüber zu beeinflussen. Gerade in diesen beiden Figuren zeigt sich, dass ein Dialekt – wie im wirklichen Leben – vor allem mit Emotionalität zu tun hat. Es ist auch ein Anliegen der Gruppe, den Wandel des Bairischen von Generation zu Generation zu zeigen. Die jüngeren Figuren scheinen sich „höher gestellten“ Gesprächspartnern gegenüber für ihren Dialekt zu schämen und verbergen diesen deshalb.

Ansonsten ist die Inszenierung sehr traditionell gehalten, was jedoch wegen des hervorragenden Ensembles alles andere als langweilig ist. Vor allem die beiden Vaterfiguren sind mit Erwin Brantl als Miller und Amadeus Bodis als Präsident großartig besetzt und sehr stark. Die tiefe Gläubigkeit Millers passt vor allem auch zu seinem Dialekt, schließlich werden Bayern gerne als sehr gläubig dargestellt.

Quelle: Facebook
Quelle: Facebook

Die Dialoge zwischen Luise und ihrem geliebten Vater sind wundervoll gespielt und wirken vor allem durch die natürliche Sprache sehr intensiv. Ulrike Dostal spielt sowohl Frau Miller, die in der Beziehung ihrer Tochter zum Major ihren eigenen gesellschaftlichen Aufstieg sieht, als auch Lady Milford. Die Adelige wird hier deutlicher als Antagonistin gezeichnet, als es in vielen anderen Inszenierungen des Stücks der Fall ist. Sie will Ferdinand für sich. Am Ende scheint sie nicht aus Erschütterung über Luise zu verzichten, sondern um nicht aus Verliererin aus dem Streit hervorzugehen. Sekretär Wurm, gespielt vom Regisseur Robert Ludewig, ist der wahre Intrigant der Inszenierung. Er wirkt ruhig und unterwürfig, spielt jedoch geschickt die anderen Figuren gegeneinander aus. Die Beziehung zwischen Luise und Ferdinand (Thomas Trüschler) bröckelt schon zu Beginn des Stückes. Während er sie glücklich machen will weist sie ihn bereits im ersten Dialog zurück, da sie weder sich noch ihren Liebsten den Problemen dieser unstandesgemäßen Liebschaft aussetzen will. Ferdinand will sich zwar von seinem Vater distanzieren, scheint jedoch dessen Jähzorn geerbt zu haben, was vor allem das Bühnenbild zu spüren bekommt.

 

Die Kostüme sind historisierend und zeigen deutlich die Stände der Figuren. Gerade Lady Milford und von Kalb nutzen ihre Kleidung vor allem als Fassade. Bei der Figur des Hofmarschalls sind noch Reste eines Dialektes zu hören, umso aufwändiger gestaltet er sein aristokratisches Aussehen und Verhalten. Das Bühnenbild (wie die Kostüme von Aylin Kaip) hingegen ist sehr schlicht und wird im Laufe der Vorstellung immer mehr zerstört.

Klar ist die Übertragung von Klassikern ins Bairische nichts Neues mehr, jedoch wird vermutlich sehr selten auch innerhalb des Stücks zwischen verschiedenen Ebenen des Dialekts unterschieden. Dies zeigt also nicht nur einen Unterschied zwischen Bürgertum und Adel, sondern auch zwischen Generationen und Individuen. Eine spannende Herangehensweise an den schiller’schen Text. Dieses Spiel mit der Sprache funktioniert auch deshalb besonders gut, da die Darsteller das Bairische wirklich beherrschen. Es ist die wichtigste Voraussetzung, um die Sache nicht lächerlich wirken zu lassen. Man darf gespannt sein, was die Künstler von Südsehen in Zukunft auf die Beine stellen.

Die Inszenierung ist noch von heute bis einschließlich Sonntag bei Einstein-Kultur zu sehen. Infos zum Stück und zur Kartenreservierung gibt es auf der Homepage von Südsehen.

http://www.suedsehen.de/termine.html

Trailer: https://www.youtube.com/watch?v=YAkrhfeUAyA